40 Texte aus 40 Jahren: 2020: SRG: Spardruck im Massagesalon
Zwei Jahre nach der No-Billag-Abstimmung ist die SRG dem Sparfieber verfallen. Dabei war das Resultat doch ein ganz anderes.
In der Politik ist es wie beim Radio: Ob ein Signal ankommt, hängt nicht nur davon ab, ob es stark genug ist. Sondern vor allem auch davon, ob jemand auf Empfang geschaltet hat oder nicht.
An der No-Billag-Initiative vor zwei Jahren lässt sich das sehr gut ablesen. Kaum eine Schweizer Abstimmung der letzten Jahre ist international so breit beachtet worden wie das rechtslibertäre Vorhaben, die Empfangsgebühren zu streichen und damit die SRG und den medialen Service public zu zerlegen. Das Ergebnis ist bekannt: 71,6 Prozent Nein. Signalwirkung? Fehlanzeige.
Das fing schon ganz oben an, bei SRG-Generaldirektor Gilles Marchand, der das Resultat offenbar nicht als beflügelndes Bekenntnis zu einem starken Service public auffassen mochte – sondern als Sparauftrag. So kleinlaut, wie Marchand damals vor die Medien trat und in vorauseilender Demut ein 100-Millionen-Franken-Sparprogramm ankündigte, hätte man meinen können, die SRG sei gerade hauchdünn an ihrer Abschaffung vorbeigeschlittert.
Kein Wunder, dass der klare Ausgang der Abstimmung auch in Europa nicht annähernd so grosse Resonanz fand wie zuvor die Initiative selber. Rechte Kräfte arbeiten schärfer denn je auf die Zerschlagung der «Staatssender» hin. In Deutschland stellt der «Spiegel» in seiner aktuellen Ausgabe fest, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk längst nicht mehr nur von der AfD unter Beschuss sei, sondern verstärkt auch von bürgerlichen Regierungsparteien: «Nie waren die Angriffe gegen ARD und ZDF so laut und hart, nie wirkten die Sender so plan- und schutzlos.» In Grossbritannien hat Premierminister Boris Johnson jüngst nochmals seine Absicht bekräftigt, die Rundfunkgebühren durch ein Abomodell zu ersetzen, was auf eine Demontage der BBC hinauslaufen würde. Darauf zielt in Österreich auch die FPÖ ab, die mit einer Petition zur Abschaffung der Empfangsgebühren gerade wieder eine neue Kampagne gegen den ORF gestartet hat.
Und die SRG? Vermittelt in ihrem chronischen Reformfieber auch nicht eben den Eindruck, als wüsste sie die Zeichen zu lesen. Die Verlegung des Radiostudios von Bern nach Zürich: politisch unklug. Es gab Proteste und im Nationalrat ein Veto, nun sollen doch nicht alle Redaktionen umgesiedelt werden. Und jetzt der Beschluss, den Aufbau einer mehrsprachigen Rechercheredaktion, den Marchand im September 2018 noch stolz angekündigt hatte, aus Kostengründen kurzfristig abzubrechen: ein nicht gehaltenes Versprechen und publizistisch fragwürdig.
«Es muss Blut fliessen.» So rabiat hatte der Medienpionier Roger Schawinski die SRG einst vor der No-Billag-Abstimmung zum Sparen aufgefordert. Dass jetzt auch er selber bluten muss und sein eigener Sendeplatz weggespart wird, hatte er sicherlich nicht gemeint. Sendungen wie «Schawinski» werde es künftig beim Schweizer Fernsehen wohl nicht mehr geben, sagte er letzte Woche in seiner Talkshow, schliesslich sei er «der letzte unabhängige Journalist gewesen». Eitle Provokation hin oder her, Schawinskis Timing war auch schon besser: Wie hochstehend der Journalismus von SRF immer wieder ist, hatten einige Tage davor drei Kolleginnen der «Rundschau» mit ihren Enthüllungen zur Crypto-Affäre gezeigt. Welche Redaktion hat noch die Ressourcen, so aufwendige, zeitraubende, also teure Recherchen zu stemmen?
Die Angriffe auf die SRG haben noch einen anderen, eher lästigen Nebeneffekt. Regelmässig sind wir, auch bei der WOZ, damit beschäftigt, diese staatspolitisch unverzichtbare Institution zu verteidigen – stets unter dem Vorbehalt, dass man die SRG, sobald ihre Existenz gesichert sei, stärker in die Pflicht nehmen müsse, was die Qualität des Service public angeht. Zwei Jahre nach dem Nein zu «No Billag» ist ein guter Moment, diese Ansage einzulösen. Laut dem kanadischen Philosophen Marshall McLuhan ist das Medium ja nicht nur die Message, sondern auch die Massage. Schauen und hören wir also, was uns der riesige Massagesalon namens SRG auf allen seinen Kanälen tagtäglich so einmassiert.
Dieser Text ist ursprünglich in der WOZ Nr. 9 vom 27. Februar 2020 erschienen. Aus Anlass des 40-Jahr-Jubiläums der Wochenzeitung WOZ haben wir unser Archiv nach Perlen durchsucht, die wir erneut veröffentlichen, und das Tag für Tag bis hin zur Jubiläumsausgabe, die am 30. September 2021 erscheint.