40 Texte aus 40 Jahren: 2007: Klimawandel: Abwarten und Joghurt essen

Endlich scheint die Welt zu begreifen, dass gehandelt werden müsste. Doch statt dass man endlich weniger verbraucht, steuert die Politik im Namen des Klimaschutzes in neue Sackgassen.

Das Klima ist ein Megathema. Endlich – und viel zu spät, wie der vierte Bericht des Uno-Klimagremiums zeigt, der am 2. Februar präsentiert wird. Das Klima ist Thema am Wef in Davos. Es ist Thema unter PolitikerInnen; selbst George Bush hat seine Klimaignoranz vergangene Woche fallen lassen müssen.

Den Ton der gegenwärtigen Debatte gab, unfreiwillig, am besten wohl der Titelkommentar der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit» vom 11. Januar wieder. Dort schrieb die Literaturkritikerin Iris Radisch kenntnisarm, aber engagiert über den Klimawandel; Tenor: Wir haben es in der Hand. Und forderte – weniger Autos? Im Gegenteil: «Niemand», schrieb Radisch, «kann uns verbieten, millionenfach nach Ökoautos zu verlangen.»

Zu glauben, eine Welt, in der es mehr «Ökoautos» (welch dummes, dummes Wort!) gäbe, wäre eine bessere Welt: Das ist, als wollte ein Hamburger-Liebhaber abnehmen, indem er nicht weniger Hamburger ässe, sondern zu jedem Hamburger zusätzlich noch ein Magerjoghurt. Oder zwei oder drei; je mehr, desto besser.

Magerjoghurts und alles, was aussieht wie diese, haben Hochkonjunktur. Was verspricht, weniger CO2 auszustossen, ohne dass man sein Verhalten ändern müsste, ist gut. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist beim Spatenstich für ein «CO2-freies» Braunkohlekraftwerk dabei (mehr darüber demnächst in der WOZ). Premierminister Tony Blair eröffnet eine Biodieselraffinerie. Präsident George Bush will den Benzinverbrauch in den USA innert zehn Jahren um zwanzig Prozent senken – nicht um zwanzig Prozent gegenüber dem derzeitigen, sondern gegenüber dem prognostizierten künftigen Verbrauch, und nicht etwa durch Sparen, sondern indem statt Benzin Biotreibstoffe verbrannt werden sollen.

Damit geht auch Bush im Namen des Klimaschutzes den Weg in die Sackgasse «Biotreibstoffe» weiter. Bereits heute subventionieren die US-amerikanischen SteuerzahlerInnen nach Berechnungen der Global Subsidies Initiative ein Auto, das ausschliesslich mit Biotreibstoffen fährt, jährlich mit durchschnittlich 520 Dollar.

Die damit angestossene Entwicklung ist verheerend. In Kamerun werden Tropenwälder brandgerodet, um Ölpalmen zur Dieselproduktion anzubauen. In Indonesien Moore – natürliche Speicher von Treibhausgasen – zum selben Zweck trockengelegt. Mais – für viele Menschen Grundnahrungsmittel, für wenige Spritlieferant – ist auf dem Weltmarkt in den letzten zwölf Monaten 75 Prozent teurer geworden. Die Autos der Reichen treten mit den Bäuchen der Armen und Landwirtschaftsland in Konkurrenz (siehe WOZ Nr. 46/06).

Hierzulande haben wir einen Umwelt- und Energieminister, der auf internationalen Klimakonferenzen eine globale CO2-Abgabe fordert. Zu Hause aber lässt er sich mutlos zum Sklaven von Prognosen machen. Denn angeblich droht uns eine Stromversorgungslücke. Und weil diese Prognose als Tatsache hingenommen wird (obwohl das Bundesamt für Energie auch andere Szenarien kennt; vgl. Seite 7), bleibt nur noch die Alternative Gas- oder Atomkraftwerk. Und weil AKW im Gegensatz zu Gaskraftwerken nach Magerjoghurt aussehen, haben ihre BefürworterInnen Aufwind. Die bürgerliche Bundesratsmehrheit will lieber heute als morgen ein neues AKW. Bedenken wie das Entsorgungsproblem und Sicherheitsfragen müssen vor lauter Klimaschutz hintanstehen.

«Versorgungslücke»: So was gibt es in der Marktwirtschaft gar nicht. Denn wirtschaften heisst knappe Güter verteilen. Ohne Knappheit kein Markt. Der freie Markt, an den ja alle zu glauben vorgeben, verwaltet Knappheit. Gibt es von einem Gut zu wenig, steigt sein Preis, wodurch die Nachfrage sinkt, bis das Angebot sie wieder decken kann. Genau das müsste das Ziel einer klimagerechten Energiepolitik sein: eine tiefere Nachfrage. Werden hingegen neue Kraftwerke gebaut, um der angeblichen Lücke zuvorzukommen, so wird der zusätzlich produzierte Strom auch nachgefragt werden. Die Prognose ist dann eine selbsterfüllende Prophezeiung. Also wertlos.

Biotreibstoffe – ein Weg, den auch das schweizerische Parlament beschreiten will, der Ständerat sogar ohne Gegenstimme – sind eine Sackgasse. Atomkraftwerke sind eine Sackgasse. Kohlekraftwerke, die CO2 abscheiden und endlagern, statt es in die Atmosphäre zu entlassen, mögen vielleicht einmal einen Lösungsbeitrag liefern. Sie sind aber Zukunftsmusik. Verbrauchsarme Autos sind besser als Offroader, aber sie sind immer noch Autos. Kompensationen – aufgrund derer neuerdings Arosa «klimaneutrale Winterferien» anbietet – sind schön und gut, aber allein dadurch, dass wir das Treibhausgas, das wir hier produzieren, anderswo wieder einsparen, lassen sich Klimaziele nicht erreichen.

Man weiss, was zu tun wäre, und es ist entwaffnend simpel: weniger verbrauchen. Allein, die Politik des Weniger und die Ökonomie des Weniger, sie müssen noch entwickelt werden.

Dieser Text ist ursprünglich in der WOZ Nr. 5 vom 1. Februar 2007 erschienen. Aus Anlass des 40-Jahr-Jubiläums der Wochenzeitung WOZ haben wir unser Archiv nach Perlen durchsucht, die wir erneut veröffentlichen, und das Tag für Tag bis hin zur Jubiläumsausgabe, die am 30. September 2021 erscheint.