40 Texte aus 40 Jahren: 1988: Roger Schawinski, Radio-Macher: Der Geschäftlijournalist
Erster Teil: Wie Herr Schawinski eine Idee hat und wie er hernach den Groppera trifft
Das muss man verstehen. Eine Welt wie die Schweiz ist klein. Der Kühne stösst, wo immer er sich aufrichtet, mit dem Kopf an die Decke. Das ist nicht wie Amerika, wo Herr Schawinski (H.Sch.) 1968 an «einer eher mittelmässigen Universität im mittleren Westen» zwei Semester hinterlegt. Im mittleren Westen kann der Kühne, ohne anzustossen, sich über den ganzen Campus strecken, radiologisch. Andere mögen gegen den Vietnam-Krieg ansingen, aber H.Sch., vor zwanzig Jahren, tritt behülfs des universitätseigenen Radios mit französischen Chansons erstmals in den Äther, wo er Stapfen hinterlässt. Er gibt seiner Sendung «den etwas klebrigen Titel “Love French Style”». Fürwahr, der 23jährige jugendsündigt aufschlussreich: «Love French Style», da ist er schon ganz der Alte, der dürftige Inhalte wundervoll zu paillettieren weiss. Während Hunderttausende 1968 mit ganz anderen Chansons auf den Lippen Barrikaden errichten, erlernt H. Sch. also das drahtlose Handwerk im amerikanischen Flachland von der Unterhaltungspike auf.
Non, je ne regrette rien.
11 Jahre später ist er dann wieder «beim Medium Radio». Und lamentiert: «Was blieb mir anderes übrig?» ist er doch «im Expresslift die Karriereleiter hinaufgesaust», aber dann ausgerechnet «zuoberst aus dem Fenster gekippt» worden. Doch der entlassene Chefredaktor der Tageszeitung «TAT» und Ex-Kassenpurzler H.Sch. überlebt den Fenstersturz zu Zürich unbeschadet, bekennt allerdings: «Mit 33 Jahren war ich out.» Nachdem er bereits «Leiter der TV-Sendung Kassensturz und Chefredaktor der «TAT» gewesen ist, obendrauf «beim Fernsehen (...) die erfolgreichste Informationssendung konzipiert» hat, fragt er sich: Wohin mit diesem Talent? «Ich musste nach einem freien, fehlenden Stück in der Schweizer Medienszene suchen.» Voilà. Und weit blickt er aus und erkennt: «Gab es nicht so etwas wie Radioanarchie in Italien?» Und nun, durch die Aussicht auf Anarchie kaum mehr zu halten, erwacht in H.Sch. ein Pioniergeist Marke Mayflower: «Als erstes suchte ich in der Wohnung nach einer Schweizerkarte.» Der Kühne will nämlich den möglichen Standpunkt eines neuen anarchischen Senders eruieren. Leider fehlt H.Sch. der rechte Patriotismus: «Nichts. Auch im Handschuhfach des Autos fand sich keine» (Schweizerkarte). Hingegen im Telefonbuch! Er berechnet über den Daumen, schätzt – und welche Wunder: «Ich hatte genau das Gebiet des Pizzo Groppera getroffen.»
Zweiter Teil: Wie Herr Schawinski eine Antenne baut, und vom Armin Walpen, der widerwerkt
So ist es. H.Sch. reist zum ersten Mal nach Madesimo, um sich seinen zukünftigen Softpop-Pizzo aus der Nähe anzusehen. Auf diesen hohen Kasten muss sie kommen, die Antenne, sagt sich nun der Prophet angesichts des «im rötlichen Licht der letzten Sonnenstrahlen» sich präsentierenden Groppelis. Und schon versinkt er «fünf Minuten später in völliger Dunkelheit» und verspürt «trotz meiner rationalen Weltsicht das Kribbeln des Schicksalhaften». Die Vorsehung flüstert in seinem Schnauz. Doch wie jeder Vorhergesehene kann auch H.Sch. allein von Schicksal und Kribbeln nicht leben, sondern braucht handfestes Kapital. Und nun lernen wir Sinn und Zweck der Militärdiensttauglichkeit kennen. «Wir hatten uns dort kennengelernt», er und sein Financier, «wo in der Schweiz die meisten Geschäftskontakte geknüpft werden: im Militär.» Investieren! Verstanden! Ruhn! Und fühlen wie H.Sch.: «Mit meinem alten Panzerkollegen (Financier) fühlte ich mich bereits sicherer.» In Zweierkolonne zu je einem Mann pro Kolonne marschiert nun der Pionier, flankiert von seinem Panzerschrank Michael, Richtung Groppera. Den Gipfel des Bergs will man nämlich dem Besitzer, Herrn Cariboni, abmieten, will die Senderechte heuschen. Doch Schreck! «Bei diesem Treffen nun war Cariboni nicht in Hochform.» Teufel auch! «Cariboni war krank, möglicherweise schwerkrank. Würde er in diesem Zustand neue Verpflichtungen eingehen?» Würde der vermeintliche Moribundus die verdammte Unterschrift, hinter der H.Sch. her ist wie der Teufel hinter dem Stutz, noch herzeichnen können mit seiner schwachen Hand? «Wir wurden beide (Pionier/Financier) immer nervöser und suchten immer nach neuen Tricks, um ihn (Cariboni) bei der Sache zu halten.» Dabei wäre doch alles so einfach: Könnte man die Unterschrift nicht aus dem Kranken sozusagen herausprügeln?
Und kaum rückt Cariboni den Berg heraus, dräut die nächste Pleite: Mit dem Viertelmilliönchen von Financier Michael ist es nämlich nicht weit her. Der gepanzerte Kolleg erweist sich als Blindgänger. Er ist halt einer von der Sorte, die grosse Sprüche klopfen und sich mit einer gepumpten Tausendernote die Zigarre anzünden. Hingegen der zweite Financier Bernd Grohe ist nun «dieser ideale Investor», den H.Sch. braucht. Ideal ist vor allem, dass Grohe anlässlich einer gemeinsamen Italienreise «kurz vor der Schweizer Grenze seinen Einsatz verdoppelte»: Nun kann die dammich teure Antenne gekauft werden.
Bevor diese aber im Seichtwellenbereich funken kann, muss für das Unternehmen ein Name gefunden sein: «“Stella” hatte ich bereits verworfen. Der Name war nichtssagend.» Im Gegenteil, H.Sch., im Gegenteil! «“Radio Nonstop” (...) setzte sich aus zwei Negativbegriffen zusammen (...) Das gefiel mir nicht.» Man ist ja zum Positivsten entschlossen. «“Radio Vierundzwanzig” war ein schwerfälliger Zungenbrecher.» Bei diesem Riesenwort erlahmt des Meisters Zunge, und sein Geist nuschelt: Wie nur, wie, könnte man den Zungenbrecher zum Erfolgsnamen machen? Dann kommt’s: Mit Signet («Kampfsymbol einer ganzen Region») und Inhalt verbunden würde der Name «Radio 24» zum Begriff. Und zwei ganze Buchseiten widmet der Meister nun der Genesis des «erfolgreichsten Signets der Schweiz».
Und was den Inhalt betrifft, so weit sind wir noch nicht. Jetzt, noch bevor die Antenne auf dem Groppeli steht, geht erst mal «die Personalsuche richtig los». Der Geschäftlijournalist setzt hier klare Prioritäten: Zuerst kommt die Werbung, dann erst der Inhalt. Folgerichtig ist das erste Personal der Werbespotverkäufer Catellani. Nun ist es aber bei Kommerzradios allgemein üblich, die einzelnen Werbespots durch Musik von einander zu trennen. Es braucht einen Moderator, der sich durch chronische «Ufgschtelltheit» und eine militant gute Laune auszeichnet. «Christian (Heeb) imponierte mir gleich durch sein selbstsicheres Auftreten», verkündet H.Sch. und fühlt sich nun gegenüber dem jüngeren Heeb «wie ein Vater, der seinen Sohn, mit einem unverhofften Riesengewinn (Grohe!) in der Tasche, durch ein Spielwarengeschäft führt.» Dädi und Iki fliegen durch die Fera und kaufen alles, was ein modernes Studio braucht. Leider kommt dann Iki, viele Monate später, als das Radio schon «pieps!» macht, von der Flugroute ab.«Eines Tages kam Christian mit einem sehr ernsten Anliegen.» Ihm gefällt sein Titel «Studiochef» nicht mehr.
«Wie wäre es mit ’Programmdirektor’? schlägt Iki mit tropfenden Flügeln vor. Da muss sich Dädi H.Sch. «das Lachen verkneifen». Und mahnt: «Entscheidend ist nur, dass du dich weiterhin einsetzt wie bisher. Also, ab heute bist du ’Programmdirektor’.» «Und so», endet die Mär, «kam unsere Firma, die sonst keine Hierarchie kannte, zu einem Direktor.» (Tatsächlich sind Anzeichen von Hierarchie in der Firma 24 nicht festzustellen: «Ich (H.Sch.) hatte die gesamte Verantwortung in allen Bereichen zu tragen (...) Ich brauchte nicht auf den Segen (...) eines langatmigen Kollektivs zu warten.»)
Aber zurück in die Pionierzeit: Kaum wird «Radio Schawinski» publik, erwachen die schlafenden Berner als Bären. Sie grollen garstig, möchten es nicht dulden, dass ein Geschäftlijournalist das SRG-Monopol bricht. Und aufrecht steht nun Armin Walpen, der Chef des Radio- und Fernsehdienstes im Eidgenössischen Energie- und Verkehrsdepartement (EVED), dem Lollipop-Pionier im Wege. Der Walpen will ihm die historische Sendung und «all the good music on Radio twentyfour» abstellen, «and all the news». Das ist doch ungerecht! Denn «erstens bin ich Journalist und kein Geschäftsmann», erklärt der Pionier dem Walpen (den LeserInnen seines Buches erklärt er dann auch, was er unter Journalismus versteht: «Ich war nun Besitzer, Chefredaktor, Geschäftsführer, Personalchef, Verkaufsleiter (...) von Radio 24»), und «zweitens bin ich noch immer im Konsumentenschutz verhaftet». Hier hockt dem Pionier allerdings der Begründer der Psychoanalyse auf der vom vielen Radio-Vierundzwanzig-Sagen schon ganz gebrochenen Zunge: Dem Konsumentenschutz verpflichtet müsste es heissen, wenn man es so meinen würde. Item – Walpen zeigt sich von den Argumenten des Konsumentlnnenschützers nicht sonderlich beeindruckt, wenn auch aus anderen Gründen als diesen: «Du, ich hätte da einen Riesenauftrag.»
Hören wir später den Doppeldutzend-Werber Catellani sprechen. «Aber da kam ein Nein von ganz oben, der Geschäftsleitung», bedauert der Werbefachmann. «Du (H.Sch.) habest im Kassensturz einen Film über ihre Firma gedreht. Daher geben sie uns keine Werbung.» Oh Schatten der Vergangenheit! Da moniert H.Sch.: «Die gesamte Ravioli-Industrie boykottierte uns, obwohl ich zur Zeit der Ausstrahlung des berüchtigten Ravioli-Kassensturz-Filmes bereits seit über einem halben Jahr das Fernsehen verlassen hatte.» Berüchtigt? Hurtig distanziert sich der Medien-Yuppie, der ja unter ‹Freiheit› nie nichts anderes verstanden hat als ‹die Freiheit des Löwen, sich den Löwenanteil zu sichern› und bricht aus dem Konsumentenschutz aus, in dem er verhaftet war: «(...) Ich hoffte, dass die Rachefronten (der Ravioli-Industrie) abbröckeln würden.» Und siehe, das «erwies sich als richtig».
Radioli 24. Mit ‹v›.
Und wenn wir wieder zurückblenden in die Pionierphase, steht dann endlich die tonnenschwere Antenne. H.Sch. rüttelt («ich jubelte, begeistert rannte ich durch den Tiefschnee») an ihr, aber sie bewegt sich «zu meiner Zufriedenheit nicht einen Millimeter». Keine Angst. Sie wird sich auch weiterhin nicht bewegen. Polo Hofers Stimme ist einfach zu schwach.
Dritter Teil: Wie Herr Schawinski seinen Widerhaken Walpen hinbodigt und wie er um Matters Leben fürchtet.
Die Pionierphase des «ersten freien Radios» des Medienmarktes Schweiz lässt uns nicht los. Der Groppera leuchtet im Abendgebläse vom Po her, und unser Held geht mit seinem Widersacher Walpen ins Gericht: «Ich wusste, dass er mich in einer seiner Herzkammern für meine Keckheit bewunderte.» H.Sch. wähnt sich mit dem privatradio-feindlichen Staatsbeamten in einem «Kampf, Mann gegen Mann, wie im klassischen Drama oder Westernfilm». Als er Walpen später einmal beim persönlichen Nachtmahl trifft, schlägt H.Sch. ihm «hier und heute eine (Tennis)-Partie» vor und rambot entschlossen: «(... ) diesen Kampf hätte er allein und offen austragen müssen». Aber «am allerliebsten» hätte der Radio-Bub sich «mit ihm handgreiflich angelegt». High noon, und die Herzkammer tickt unerbittlich.
Nun werden aber Handgreiflichkeiten in der Presse nicht recht gewürdigt. Also geniesst H.Sch. die Rache in unverblümter Chlägelitätsch-Manier: Als er vom neuen EVED-Chef und Bundesschratt Schlumpf in Sachen Privat-Radio zur Audienz empfangen wird, belebt ihn, H.Sch., der Gedanke, «dass Walpen frustriert draussen herumsitzen musste, immer auf eine Aufforderung (zum Hereinkommen) wartend, die nie kam. Und hoffentlich», erregt sich H.Sch. weiter, «fürchtete er, dass ich ihn bei seinem neuen Chef (Schlumpf) schlecht machte.»
No comment, Herr Velofahrer.
In einer solchen Leistungs- und Denunzianten-Mentalität ist natürlich kein Platz für den Schwachen, in diesem Fall kein Platz für Rudolf Matter. Solange H.Sch. «radiotechnisch eine völlige Niete» war, also in den Gründertagen, gebrauchte er Matter als: «Mein Techniker, der Mann, der den Sender bauen würde». Aber dieser Matter, der «sich für keine Arbeit (an der R-24-Anlage) zu schade war, in der Bergstation (Groppera) wochenlang im Massenlager übernachtete», disqualifiziert sich dann, weil er (technische) Fehler macht. Im entscheidenden Moment, nämlich kurz bevor man 1979 zum erstenmal Zürich mit Groschenroman-Musik eindecken will, wird Matter dann auch noch untüchtig: «Eines Tages (kurz vor dem Start) kam die Katastrophenmeldung aus Madesimo. Matter sei zusammengeklappt und liege im Spital.» Tja, Künstlerpech, nun liegt der Techniker der ersten Stunde, den H.Sch. mokant als willfährigen, ihm stets ergebenen Prolo schildert («Mich nannte er noch immer Herr Doktor, obwohl ich es ihm oft auszureden versucht hatte» – «Wenn ich ihn im Beisein von Drittpersonen traf, schlug er die Hacken zusammen und senkte den Kopf»), nun liegt der Chrampfer im Spital. Und der Geschäftlijournalist, «vor mir das Bild eines todkranken Matter (...) und eines geplatzten Radioprojektes», fährt nach Chiavenna, um sich die Chose anzusehen. Sogleich beginnt er «im Kopf» zu rechnen: «Glücklicherweise war es nicht ganz so schlimm um Matter bestellt, wie zu befürchten gewesen war. Aber wie lange würde er ausfallen? Und wie stark würden die Arbeiten (am Sender) dadurch blockiert?» Und wie, wenn man fragen darf, geht es Matter, dem Menschen? Ach – der wird später eh ausgewechselt. Gegen einen neuen Techniker, der die «radiotechnisch (...) völlige Niete» H.Sch. halt effizienter bedient, oder nicht?
Vierter Teil: Wie Herr Schawinski mit Menschen handelt und wie er mit Zungen spricht.
Kurz sind die Wonnen der Werbeeinnahmen und der fortwährenden Fehlinterpretation von Reggae-Cliffs «You can get it if you really want» durch den Geschäftlijournalist mit Freiheits-Touch aus Zürich. Am 4.1.80 will man den Sender zum erstenmal schliessen. Als die Beamten anrücken, begibt sich der Tribun «an einen sicheren Ort», quasi auf den Feldherrenhügel, «um vielleicht von aussen eingreifen zu können». Nach Abzug des Feindes «wagte ich mich hinunter». Zwischenzeitig war die Stellung vor dem Studio in Como gehalten worden: Es waren ja drei Busse vorgefahren, «vollgepackt mit 350 ‹Fans›». Die hatte der Tribun in der Stunde der Bedrängnis («Italien legt Radio 24 still», verkündet das «Zofinger Tagblatt») behülfs einer «radiophonen Vollversammlung» und eifriger Erfüllungs-HörerInnen mediengerecht herbeordert. Als die Schliessungsbeamten dann unverrichteter Dinge wieder verschwinden, wird die Fan-Statisterie nicht mit Wurst und Brot abgespiesen, sondern darf sich als Lohn «unsere Anlagen mit grossen Augen» beschauen. Ja, so eine riesengrosse, komplizierte Anlage mit Drähten überall und so ein gütiger Tribun – darf man ihn zwicken? Aber zwicken, nein, solche, wenngleich zärtliche, Körperlichkeit liegt nicht im Charakter «unserer Anhänger», wie der Tribun sie nennt. «Unsere Anhänger waren keine Schar hasserfüllter, manipulierbarer Extremisten.» Um Himmelswillen nein. «Unsere Anhänger» sind «Menschen aus allen sozialen und politischen Schichten», die beim Auftauchen der Polizei dieselbe in die Flucht schlagen, in dem sie «meinen Vornamen» skandieren.
Das sind keine solchen wie die beiden Bewegten, die sich 1980 im R-24-Büro «nur mit dem Vornamen vorstellen» und «eine fürchterliche Alkoholfahne» haben. «Es ist möglich», informieren die beiden, so gar nicht ins Anhänger-Bild des Tribuns passenden, den Geschäftsmann, «dass es Mais gibt», vor dem Opernhaus. Danke. Und was fällt dem pikierten Tribun als erstes dazu ein: «(...) und (sie) liessen die leeren Bierflaschen stehen.»
Nun ja, Bürger Tribun will ja 1980 nicht den Staat abschaffen, sondern sich ein gutes Plätzchen darin einrichten. Er redet vom «Radio 24-Land». Das ist ein Land mit dem Slogan: «Vielleicht ist Werbung die schlechteste Finanzierungsform – das heisst mit Ausnahme aller anderen», ein Land unter dem Motto: «Ich erklärte den Hörern die politische Situation», ein Land mit der Vision: «Als Zeichen der Sympathie sollten alle Hörer einen weissen Bändel an ihre Autoantenne knüpfen.» Und trotzdem kommen nun 1980, kurz vor dem Opernhaus-Donnerwetter, 5000 Leute auf den Bürkliplatz, und «alle jubelten, freuten sich über unsere Anwesenheit, freuten sich, dass der Sender wieder lief». Povero H.Sch.! Dass die alle gar nicht ihn meinen, sondern eine (noch) diffuse Wut spüren, die er, der Geschäftlijournalist, vorübergehend für seine Zwecke ausnützen kann – er checkt es nicht. Mit dem messerscharfen Gefühl für die wahren Anliegen der 5000-köpfigen Bürkliplatz-Demo ruft er: «Radio 24 lebt in diesem Moment. Das ist das Positive.» Und zeitlich ein paar Wochen, geographisch ca. 300 Meter und mentalitätsmässig Lichtjahre vom Opernhaus entfernt, steigt er in die historische Hosengrösse 32 und spricht die Worte: «Wir haben zwei Regierungen gegen uns, nicht zwei Völker, nein, zwei Regierungen. Und allein aus wirtschaftlichen Gründen sollen wir stillgelegt werden.» Böse, böse wirtschaftliche Gründe! Nein aber auch!
Was ist bloss mit der Ravioli-Industrie los und dem «Riesenauftrag»? Böse Wirtschaft, pfui! Der Tribun will ja nur «richtiges, journalistisches Radio machen». Er sendet ja immer noch illegal vom Groppeli aus und möchte sich gern profilieren. Wie trefflich, dass ein paar ehemalige «Roger! Roger!»-Ruferlnnen inzwischen Scheiben einschlagen in der Bahnhofstrasse. Mit dem Spürsinn eines englischen Jagdhundes erschnüffelt sich der Tribun von Como aus die Chance, von den «aufgebrachten Jugendlichen», journalistisch zu profitieren: «Ich überlegte kurz. Dann rief ich Dr. Sigmund Widmer (damals Stadtpräsident Zürichs) in seiner (...) Wohnung an.» Die «aufgebrachten Jugendlichen» hatten dem Stadtpräsidenten nämlich ein Ultimatum gestellt, er solle, O-Ton Tribun, «bis 23 Uhr auf dem (Opernhaus) Platz zu Verhandlungen erscheinen, andernfalls würde alles zusammengeschlagen». «Deshalb bleibt Ihnen nur eine Chance», belehrt der Kriegsgewinnler H. Sch. den Stadtpoppeli, «(...)wenn Sie über unser Radio zu den aufgebrachten Jugendlichen sprechen». Aber halt! Ein Bewegter ist H.Sch. keineswegs, sondern er meint: «Ein Statement vom Stadtpräsidenten auf unserem Sender konnte jetzt der Durchbruch sein.» Für das erste freie Kommerzradio der Schweiz. Um Menschen geht es dem Tribun nicht, ihm geht es, nachdem Stadttraktor Widmer über den Coup-Hardy-Sender zu «Ruhe und Ordnung» aufgerufen hat, vor allem darum: «Auch andere Behördenmitglieder würden uns nun vermehrt beachten, uns Interviews geben, uns ihre Informationen zusenden.» Des Tribuns Beitrag zur Bewegung: «Unsere Hörer forderten wir auf, sich nicht als Gaffer in die Ausschreitungen einzumischen und vor allem Kinder vom Tränengas fernzuhalten.»
Fünfter Teil: Wie Herr Schawinski nach gewonnener Schlacht durch sein Büro ruft: «WIR HABEN GEWONNEN!» und wie er der Schlumpf unter Schlümpfen wird, der er schon immer gewesen.
«Der Bruch des SRG-Monopols war keine Zukunftsvision mehr, sondern stand dicht vor der Türe.» «Zweieinhalb Jahre waren wir bekämpft worden.» «Nach der Pressekonferenz (zur ‹Rundfunkverordnung›, Legalisierung R-24) klemmte ich das Tonbandgerät unter den Arm und ging auf Bundesrat Schlumpf zu. ‹Ich hätte einige Fragen›, begann ich nervös. ‹dürfte ich Sie um ein kleines Interview bitten?›» «Wie würde nun der Bundesrat reagieren? Würde er mich in Hörweite der Bundeshausjournalisten zurückweisen, belehren und demütigen?»
Aber nein, H.Sch. Du siehst es doch selbst, auf dem Foto: nur ein Mikrophon trennt dich noch von den Lippen des Oberschlumpfs. Und wer weiss – vielleicht wirst du bald über Satellit zur Menschheit sagen: «Wir haben fünftausend Sterne gegen uns, nicht zwei Wolken, nein, fünftausend Sterne», deshalb sagt Herr Leon ja «mit strahlendem Lächeln»: «Aber gern, Herr Dr. Schawinski. Schiessen Sie los.»
Er weiss ja, dass du kein Pulver nicht hast.
Alle Zitate aus: R. Schawinski, «Die Geschichte des ersten freien Radios der Schweiz», erschienen im Verlag Radio 24.
Dieser Text ist ursprünglich in der WOZ Nr. 8 vom 26. Februar 1988 erschienen. Aus Anlass des 40-Jahr-Jubiläums der Wochenzeitung WOZ haben wir unser Archiv nach Perlen durchsucht, die wir erneut veröffentlichen, und das Tag für Tag bis hin zur Jubiläumsausgabe, die am 30. September 2021 erscheint.