40 Texte aus 40 Jahren: 1985: Waldsterben — eine neue Umwelttechnologie und noch mehr Polizeistaat: Auf dem Holzweg on the road
«Untergangshysterie und engstirniges Geschäftsdenken haben eine eigentümliche Koalition aus Linksradikalen, Lodenmänteln und Möbelfabrikanten zusammengeschweisst.» (Stefan Welzk, Kursbuch 74)
Diese Woche ist das Waldsterben Medienereignis Nummer Eins – nächste Woche dann parlamentarischer Knüller, wenn die beiden Räte zur Sondersession über den Wald zusammentreten. Das Waldpartisanentum hat sich formiert, geschlossen von der Linken bis zur freisinnigen Rechten (die ganz Rechte war ja von Anfang an mit von der Waldpartie).
Aus dem Modethema ist ein Dauerbrenner geworden. «Ist das ‘Waldsterben’ Ausdruck einer Krise oder Restrukturierung (Neuorganisation, Umbau) des Kapitalimsus?» fragte die WoZ vor dreiviertel Jahren, anlässlich der Wald!-Kundgebung in Bern. Unsere damalige Position wurde uns übelgenommen. Viele hatten das Gefühl, wir wür den uns um den Preis eines kleinen Gags über etwas lustig machen, das allen ans Mark geht. Und ans Mark, genauer ans Herz, ging’s schon vielen: Selten ist ein Thema mit so vielen eichen-tümlichen, ursprünglichen Emotionen beladen worden. Res Strehle schrieb damals zu den ökonomischen Konsequenzen der Waldsanierung (WoZ 18/84), vorauszusehen sei die Stärkung der individuellen Verzichtsebene im ressourcenknappen Bereich und die Öffnung neuer Absatzbereiche dank neuer Technologien.
Ein Kommentar erübrigt sich (beinahe). Die Schweiz hat im letzten halben Jahr das dichteste bleifrei-Tankstellen-Netz Europas aufgebaut, die Umstellung auf Katalysatoren-Autos ist angelaufen (die Halde vorzeitig ausgedienter Autos wächst), und der serbelnde Altdorfer Bannwald wird jetzt schon mit Betonmauern gestützt – die noch notwendigen Sofort-Baumassnahmen werden auf 1Mio. Franken geschätzt («Rundschau» vom 29.1.85). Es bleibt dabei: Die Wald- und andern Umweltschäden stellen in erster Linie einen Grosskredit zur Finanzierung des Wirtschaftswachstums dar, und die Linke übernimmt in diesem Trauerspiel gar noch die Rolle der Steigbügelhalter.
Die Eidgenössischen Räte werden ein Massnahmepaket zur Waldrettung beschliessen. Das Paket wird – wie die Umweltorganisationen glaubhaft nachgewiesen haben – nichts bringen, es wird eine weitere Wald-Sondersession geben, und vermutlich wird früher oder später auch die Benzin-Rationierung kommen. Die Bereitschaft zum individuellen Verzicht wird heute geschaffen, die Bereitschaft, individuell die Kosten zu tragen. (Dann werden die SBB auch endlich billiger sein als der private motorisierte Verkehr.) Jeder ist schuld am Waldsterben, jeder trägt sein Scherflein Schuld selber, und bald sind wir, wenn nicht von der Umweltqualität, so doch von der Ideologie her, in den 50er Jahren gelandet. Und nachdem jeder bei sich selbst schauen muss, wird auch das Instrumentarium ausgebaut werden, das für die persönliche Disziplinierung sorgt: Noch mehr Polizeistaat steht vor der Türe.
Die Benzinrationierung wird dann übrigens bald einmal überflüssig werden, da inzwischen die Elektroautos oder andere «umweltfreundliche» Mobiles auf den Markt kommen. Technologien der Zukunft für die Probleme der Zukunft – verbesserte Marktchancen zum Beispiel für Miniatur-AKWs anstelle von Ölheizungen. Und mit der Redimensionierung der Wirtschaft, der romantisch grünverklärten Rückkehr zum einfachen Leben wird einmal mehr nichts. – Auch nichts mit der letzten Zuckung des Kapitalismus.
Dieser Text ist ursprünglich in der WOZ Nr. 5 vom 1. Februar 1985 erschienen. Aus Anlass des 40-Jahr-Jubiläums der Wochenzeitung WOZ haben wir unser Archiv nach Perlen durchsucht, die wir erneut veröffentlichen, und das Tag für Tag bis hin zur Jubiläumsausgabe, die am 30. September 2021 erscheint.