Migros meets McKinsey: Ein Besuch, den man nie vergisst

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Die Discounter Aldi und Lidl drängen in die Schweiz. Alle reden vom Preiskrieg und davon, Kosten zu senken. Bei der Migros haben die Berater von McKinsey ihre Arbeit aufgenommen.

Während der letzten zehn Monate stattete einer der grössten und einflussreichsten Clans der Wirtschaftswelt der Migros einen Besuch ab: die McKinseys. Die Gäste nennen sich Berater und verstehen sich aufs Outsourcen, Straffen, Stellenstreichen. Wer sie einlädt, darf sich einer Sache sicher sein: Nach dem Besuch wird nichts mehr sein, wie es einmal war. In diesen Tagen reisen die McKinseys wieder ab. Und beim Migros-Hauptquartier in Zürich fehlen im Organigramm 200 Stellen.

Besuchen ist ihr Beruf

«Die Übung kostete die Migros sechs Millionen Franken», sagt ein Insider (Name der Redaktion bekannt). Für einen McKinsey-Berater muss man pro Tag zwischen vier- und fünftausend Franken hinlegen. Eine stolze Zahl, aber keine ernsthafte Hürde. Die McKinsey-Rechnung wird sich bereits vor nächster Weihnacht locker begleichen lassen. Alleine durch die eingesparten Personalkosten in zweistelliger Millionenhöhe.

Das ist die betriebswirtschaftliche Argumentation. Unschlagbar im Sprint. Aber wie siehts in der Marathondisziplin aus? Und überhaupt: Was passiert eigentlich in den Köpfen der Angestellten, wenn die smarten Jungs mit Schreibblocks und Röntgenblick durch die Korridore tigern?

«Das kommt drauf an, wo man sitzt», sagt ein Migros-Mitarbeiter. Er hat einen Schreibtischjob. «In einigen Abteilungen war schnell klar, dass keine oder kaum Stellen gestrichen würden. Dort war die Stimmung natürlich entspannt. Ich selber fand die McKinsey-Leute sympathisch, manchmal auch lustig, aber sie sind definitiv keine Pausenclowns.»

Fasziniert habe ihn ihre Professionalität, sie beginne bereits beim Werkzeug: McKinsey-BeraterInnen haben alle die gleichen Notizblocks aus gelblichem, hellblau liniertem Papier. Die gelbe Farbe eignet sich zum Faxen, und dabei verschwinden die feinen, blauen Hilfslinien. Am Abend faxt McKinsey die Notizen nach Indien. Dort werden sie über Nacht abgetippt, und am nächsten Morgen kommt der Berater mit einer sauberen Excel-Tabelle unterm Arm um die Ecke.

Reformen durchbringen

Ort der mckinseyschen Aktivitäten ist das Migros-Hochhaus am Zürcher Limmatplatz, wo der Migros-Genossenschafts-Bund (MGB) mit seinen 2000 Angestellten zu Hause ist. Der MGB ist die Dachorganisation der zehn Migros-Genossenschaften der Schweiz, und McKinseys Auftrag war es, dieses Dach zu durchleuchten. Das Marketing umfasste achtzehn Direktionen, nach der McKinsey-Welle sind es noch sieben.

«Die McKinseys waren allerdings nur die Hilfssheriffs, die Männer fürs Grobe», sagt ein Mitarbeiter. «Das gesamte Performance-Projekt wurde von der internen Abteilung Corporate Development geleitet.» Und ein anderer meint: «McKinsey war ein Feigenblatt. Bevor die kamen, war der Abbau schon beschlossene Sache.» Kurz, man holt McKinsey aus zwei Gründen: Weil man weiss, was kommt, und jemand anderes sagt, wer geht.

Das ist ein Rezept, das auch in grossem Stile funktioniert. Jean-Daniel Gerber, Chef des Staatssekretariats für Wirtschaft, sagte einmal über den Internationalen Währungsfonds (IWF): Man hole den IWF, «weil die Regierungen wissen, dass sie mit den Reformen beim eigenen Volk nicht durchkommen.»

Die Regierung beim MGB ist Anton Scherrer. Bis zum Sommer ist er noch CEO, dann wechselt er als Präsident in den Verwaltungsrat der Swisscom. Für die einen ist er derjenige, der sich für die Mutterschaftsversicherung stark gemacht hat, für grosszügige Spenden in die fernen Katastrophengebiete. Für andere hat sich Scherrer mit der Sanierungsübung für weitere Aufgaben bewerben wollen und sich ein Denkmal gesetzt.

Auf jeden Fall waren seine Vorgaben klar: Die Kosten müssen um zehn bis fünfzehn Prozent runter. Man habe McKinsey geholt, weil die Berater zum Beispiel wüssten, wie viele Leute in anderen Betrieben für vergleichbare Arbeiten angestellt seien. Kurz, sie bringen Vergleichszahlen (Benchmarks) mit, so die Migros-Medienstelle.

Kosten senken heisst heute Stellen streichen. Trotzdem hatte Scherrer leichtes Spiel. Nicht nur, weil McKinsey sekundierte. Auch nicht, weil es innerhalb der Migros Stimmen gibt, die sagen, der MGB sei manchmal so ineffizient wie ein Bundesamt.

Ebenso wenig war entscheidend, dass die deutschen Discounter Lidl und Aldi schon seit Jahren mit dem Einmarsch drohen. (Das bewirkte einzig, dass das ewige «Machen wir uns fit!»-Credo der Manager mit einem Hauch von Unvermeidbarkeit angereichert wurde.) Ebenso wenig gab den Ausschlag, dass es durchaus sinnvoll sein kann, nach Jahren des raschen Wachstums innezuhalten und zu fragen: Wie toll sind eigentlich unsere Strukturen?

Highnoon nach der Mittagspause

Ein leichtes Spiel hatte Scherrer vor allem aus einem Grund: Verunsicherung. Ein Mitarbeiter erzählt: «Wenn einer ins Chefbüro musste und ein McKinsey-Mann ihn begleitete, dann wussten alle, was es geschlagen hatte.» Ihm seien drei Punkte aufgefallen:

• Das kollegiale Vertrauen brach mit dieser McKinsey-Politik zusammen. Alle steckten den Kopf in den Sand und hofften, es treffe jemand anderen.

• Lähmungserscheinungen: Projekte wurden auf Eis gelegt, weil niemand wusste, wie es weitergehen würde.

• In diesem Klima kam es zu keinem Zusammenschluss der Angestellten. Man schaffte es nicht, sich zu organisieren und eigene Vorschläge zu formulieren, zum Beispiel Modelle mit Teilzeitarbeit.

Auf den Punkt gebracht: Anton Scherrer hatte keinen Gegner. Niemand protestierte laut, dass viele Mitarbeiter überhaupt nichts zu sagen hatten, dass nie alle auf dem gleichen Informationsstand waren und deshalb wilde Gerüchte die Laune verdarben. Die Migros-Medienstelle kommentiert: «Wir haben vielleicht unterschätzt, welche Diskussionen aufkommen, wenn man hört, dass Leute entlassen werden. Das würden wir ein nächstes Mal besser machen.»

Öisi Migros

Der grosse Teil des Stellenabbaus erfolgt durch natürliche Abgänge oder dadurch, dass offene Stellen nicht besetzt werden. Drei Viertel der Personen, die trotzdem ihren gegenwärtigen Arbeitsplatz räumen müssen, haben intern oder extern bereits eine neue Funktion gefunden. Der Sozialplan ist laut einem Entlassenen grosszügig. Es gilt ein halbes Jahr Kündigungsfrist, es gibt Durchhalteprämien, Coaching, Weiterbildungsmöglichkeiten. Wie man es von der Migros erwartet.

Der Bruch verläuft anderswo. Er beginnt mit Statements der Migros-Medienstelle («Man muss sich dem Zeitgeist anpassen»), zeigt sich in Vorwürfen von Angestellten («Partizipatives Führen ist auch bei der Migros vorbei»), kommt in Briefen zum Vorschein, die der WOZ vorliegen («Seit das Performance-Programm läuft, herrscht Angst»), und endet in den Filialen, wo Migros-Angestellte mit Blick auf die Zürcher Ereignisse sagen: «Jetzt passiert das also auch mit der Migros.»

Der Bruch hat die Form einer Frage: Was unterscheidet die Migros noch von anderen Unternehmen? Intern baut man eine McKinsey-Migros, für die Kunden eine M-Budget-Migros. In beiden Fällen geht es um Preise und Kostenvergleiche, der betriebswirtschaftliche Fokus dominiert.

Es ist lange her, dass Gottlieb Duttweiler sein Unternehmen den KonsumentInnen vermachte, mit gewieften Genossenschaftsstatuten die Macht von Einzelnen zähmen wollte, Frauenquoten festlegte und dem Wohl der Angestellten hohe Priorität einräumte. Diese Woche sagte vor einer Migros-Filiale eine Kundin zu einer andern, sie würde aus Überzeugung nie im Coop einkaufen gehen. Was der Migros droht, ist, dass diese Frau dereinst dem M den Rücken kehrt.

Vielleicht rechnet sich das für die Migros unter dem Strich - wie auch für viele KundInnen. Auf jeden Fall wartet auf die redimensionierte Marketing-Abteilung Mehrarbeit. Zum Beispiel ist eine neue Imagekampagne fällig. Wie wärs mit: «Öisi Migros bliibt öisi Migros».

Verschärfte Reorganisation?

Das Marketing muss beim Migros-Genossenschafts-Bund zurzeit am meisten bluten. 100 Stellen sollen laut Communiqué durch die Reorganisation wegfallen. «Jetzt kommt nur noch das Feintuning», sagt Migros-Sprecher Urs Peter Näf. Aus der Marketingabteilung selber ist zu hören, der Abbau werde deutlich umfangreicher ausfallen. Die Rede ist von 200 Stellen. Zurzeit müssten alle 900 Übriggebliebenen ihren Lebenslauf in ein Formular eintragen und sich damit neu bewerben für die alten und neu geschaffenen Funktionen.