Verein Sorgim: Therapie für die Migros

Eine kleine Gruppe versucht die Migros zu demokratisieren und sie so zu ihren Wurzeln zurückzuführen.

Das soll nun der Rächer sein. Der, der aus niederen Instinkten die Migros attackiert, weil diese ihn früher einmal schlecht behandelt hat, wie manche sagen. Pierre Rappazzo, Gründer von Sorgim, wohnhaft in einem verlebten Block in Thalwil, in einer karg möblierten Wohnung mit atemberaubendem Blick über den schiefergrauen Zürichsee. Rappazzo ist Ende dreissig, weder gross noch muskulös noch verbiestert - nicht der Typ Rächer, dafür wirkt er zu gelassen. Dennoch ist er angetreten, die Migros-Bosse das Fürchten zu lehren.

Anfang Jahr informierte er die Medien über die Gründung des Vereins Sorgim. Sorgim heisst Migros rückwärts gelesen – und Sorgim will den Grosskonzern zu seinen Wurzeln zurückführen, zurück zur Demokratie, zurück zur Grossgenossenschaft, die nicht nur den KonsumentInnen gehört, sondern auch von ihnen gelenkt wird. «Eigentum verpflichtet und überträgt Verantwortung», schreibt Rappazzo auf der Sorgim-Website: «Eine Verantwortung, derer wir uns nicht mehr bewusst sind. Sorgim möchte dieses Bewusstsein wieder fördern und die Schweizer Bevölkerung motivieren, ihre Verantwortung wahrzunehmen.»

Rappazzos Geschichte mit der Migros beginnt vor etwa zehn Jahren. Damals baute er für so genannte Migros-Giro-Detaillisten ein Informatiksystem auf. Giro-Detaillisten sind eigentlich Migros-Läden, die nicht der Migros gehören. Man erkennt sie unter anderem daran, dass sie neben den üblichen Migros-Produkten Tabak und Alkohol verkaufen. Diese Giro-Detaillisten entstanden zwischen 1933 und 1945, als der Bund ein «Filialverbot» erliess, um die tüchtig expandierende Migros AG zu bändigen. Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler umging dieses Verbot, in dem er Private ermunterte, eigene Läden zu eröffnen, die er dann mit seinen Migros-Produkten belieferte.

Ende der neunziger Jahre, zur Zeit des grossen Internettaumels, beschloss Rappazzo, auf privater Basis für die Giro-Detaillisten einen Onlineshop aufzuziehen. Es war ein kleines, selbstgestricktes Start-up-Unternehmen, ein Einmannbetrieb, der grad mal um den Zürichsee reichte. Hausfrauen und -männer bestellten auf Rappazzos Website buytheway.ch. Rappazzo bezog die bestellten Produkte bei einem Schwyzer Migros-Giro-Detaillisten und lieferte sie persönlich aus. An den besten Tagen hatte er zehn Bestellungen. Eigentlich lief es nicht schlecht, sagt er heute. Selbst die UBS glaubte an ihn und gab ihm Startkapital.

Eines Tages fragte Rappazzo die Migros an, ob sie ihn nicht direkt beliefern könne. Die Migros-Manager sahen rot, schickten ihm unzählige eingeschriebene Briefe, drohten mit juristischen Schritten, falls er seinen Onlineshop nicht einstelle. Dem Detaillisten liessen sie ausrichten, falls er weiter an Rappazzo liefere, würde die Migros künftig ihn nicht mehr beliefern.

«Meiner kleinen GmbH konnten sie nicht viel anhaben. Aber als sie drohten, auf den Detaillisten loszugehen, musste ich klein beigeben, da es um seine Existenz ging», sagt Rappazzo. Er glaube, die Migros habe Angst vor ihm gehabt, fügt er hinzu und schmunzelt: «Gegen aussen sah buytheway.ch ziemlich gut aus. In Wirklichkeit war es eine bescheidene One-Man-Show.»

Er wollte der Migros seinen Onlineshop schenken. Doch die wollte ihn nicht, also bot er ihn Coop an. Diese kaufte den Shop und stellte Rappazzo ein. Er sass im oberen Kader, verdiente «unanständig gut», wie er heute sagt. Er hätte bei Coop Karriere machen können, doch irgendwann fand er, dass er in dem Grossbetrieb zu wenig bewegen konnte, und kündigte. Inzwischen ist er wieder selbständig und meint, er wolle noch etwas Sinnvolles machen. Und so kam es, dass er mit Freundinnen und Bekannten Sorgim gründete.

Er sagt, «die Migros-Idee wird nicht mehr gelebt. Das obere Management tut so, als ob die Migros ihm gehören würde – derweil sie sie eigentlich nur im Sinne der Konsumenten und Konsumentinnen zu verwalten hätten. Mit den unteren Angestellten, den Lieferanten und Giro-Detaillisten gehen sie ausserordentlich arrogant um – all das widerspricht den Grundideen Duttweilers, die eigentlich bis heute für die Migros verbindlich sind.»

Er sehe zwei Möglichkeiten: Die Migros als Genossenschaft abschaffen und in eine AG umwandeln oder sie zurückholen und redemokratisieren. Rappazzo setzt auf zurückholen. «Am 4. Juni sind Genossenschaftsratswahlen, es sollte doch möglich sein, genügend Leute zu mobilisieren, um in die Genossenschaftsräte hineinzukommen. Im besten Fall gewinnen wir 56 der 110 Delegiertensitze.» Falls dies gelänge, könnten die neuen Delegierten Druck machen für eine noch sozialere, noch umweltfreundlichere, noch fabelhaftere Migros.

CEO-Anwärter hätten sich künftig Wahlkämpfen zu stellen. Sie müssten der Öffentlichkeit erklären, was sie mit dem Grossunternehmen anstellen möchten, falls sie den Job bekommen. «Erstmals müsste ein Konzernchef öffentlich Rechenschaft darüber ablegen, wie er das ihm anvertraute Unternehmen zum Wohle der Umwelt führt will», sagt Rappazzo. Kurz: Behagt den GenossenschafterInnen – und das ist letztlich die gesamte interessierte Bevölkerung – der Chef nicht, wird er abgesetzt.

Das riecht nicht nach Rache, sondern nach einer feinsinnigen Therapie, um unsere grossartige Migros noch grossartiger zu machen.