M-Demokratie: Diktatoren? Mitbesitzerinnen!

Vorletzten Mittwoch gab es einen langen Nachmittag für den Migros-CEO Anton Scherrer: Erst die zwei Stunden mit der WOZ und unmittelbar darauf drei Stunden mit Pierre Rappazzo, dem Präsidenten von Sorgim, dem Forum für eine demokratischere Migros.

WOZ: Und wie war Ihr Nachmittag?
Pierre Rappazzo: Unser Gespräch war durchaus konstruktiv – Herr Scherrer ist ein höflicher Mensch und liebt lange, erschöpfende Antworten. Wo wir uns einig waren, war der betriebswirtschaftliche Bereich – Sorgim hat nichts gegen effizient geführte Unternehmen. Wo wir uns weniger einig waren: der Bereich Demokratie. Das Ziel von Sorgim ist ja die Demokratisierung von Migros.

Warum dient gerade die Migros als Testunternehmen?
Wegen ihrer Geschichte als ideenreiche Firma und weil die Migros formell schon ihren Eigentümern, zwei Millionen Genossenschaftern, gehört. Und weil sie wegen ihrer Grösse als Pilotprojekt für andere Grossunternehmen dienen kann: Migros ist mit zwanzig Milliarden Franken Budget doppelt so gross wie der Kanton Zürich und halb so gross wie die Schweiz – die wiederum nur halb so gross wie Nestlé ist. Es ist nicht einzusehen, warum als Konzern auftretende Kolosse durch Funktionäre oder Diktatoren geführt werden sollen, wenn vergleichsweise unbedeutende Einheiten wie etwa der Kanton Glarus demokratisch kontrolliert werden.

Was wäre anders in einer demokratisierten Migros?
Demokratie bedeutet nicht nur Abstimmungen, sondern auch Transparenz: etwa Transparenz der Löhne, Transparenz der Unternehmensstrategie. Und dito Konkurrenz: der Vorschläge und der Personen. Man könnte über Dinge abstimmen wie: ob die 200 Millionen, die in die Werbung fliessen, nicht besser in die Löhne der MitarbeiterInnen investiert wären.

In einer eben aufs Internet gestellten Initiative fordert Sorgim 4000 Franken Mindestlohn ...
Falsch. Sorgim fordert, dass darüber diskutiert und abgestimmt wird. Punkto Löhne, vor allem bei den Managementlöhnen, hatten wir übrigens die interessanteste Differenz mit Herrn Scherrer. Mich regt es auf, wenn etwa ein Herr Vasella – der am Anfang seiner Karriere schlicht die richtige Frau geheiratet hat – im «Magazin» deklariert, «nur fünf Leute in diesem Land» könnten einen Konzern wie Novartis leiten. Das Problem ist doch, herauszufinden, wer für Verantwortung geeignet ist – und dafür findet man sicher mehr Leute. An Regierungsräten und BundesratskandidatInnen herrscht ja jeweils auch kein Mangel.

Scherrer sagt, der Markt diktiert auch der Migros höhere Toplöhne.
Das ist Unfug, schon allein, weil die Behauptung, die Führungskräfte stellten einen offenen Arbeitsmarkt dar, Nonsens ist: Es ist ein monopolistischer Zirkel – ein Kartell sich selbst protegierender Seilschaften. Nur ein demokratisches Unternehmen, in dem nicht Funktionäre, sondern Besitzerinnen entscheiden, kann diese Mechanismen brechen.

Sorgim hat das ehrgeizige Ziel, für die Wahl in die Migros-Parlamente Konkurrenzkandidaturen zu den konzerneigenen Einheitslisten aufzustellen. Wie steht es damit?
Wen wir weitgehend haben, sind die männlichen Kandidaten. Unser Problem ist, dass sich kaum Frauen melden. Wenn wir nicht 50:50-Listen bekommen, treten wir nicht an.

Warum kandidieren Frauen nicht?
Schwer zu sagen. Vielleicht, weil Frauen sich nicht so schnell Kompetenzen zutrauen wie Männer. Dabei ist es sehr einfach: Wer an der Demokratisierung grosser Unternehmen interessiert ist, seit einem Jahr Migros-Genossenschafterin ist und glaubt, dass die Migros der Allgemeinheit dienen soll, kann für Sorgim kandidieren. Wer dagegen denkt, dass Unternehmen wie die Migros nach rein betriebswirtschaftlichen Kriterien gemanagt werden soll, nicht.

Und was, wenn die Listen diesen Monat nicht zustande kommen?
Dann treten wir erst in vier Jahren zu den Wahlen an. Gestärkt – und in der Hoffnung, dass die Migros erkennt, was für eine konkurrenzlose und sogar weltweite Ausstrahlung sie als erstes demokratisiertes Grossunternehmen haben könnte.

Der Sorgim-Chef

Pierre Rappazzo ist Informatiker und Präsident von www.sorgim.ch. Sorgim (Migros rückwärts gelesen) ist ein Verein, der sich für das Gedankengut Gottlieb Duttweilers und die Demokratisierung der Migros sowie von Grosskonzernen einsetzt.