Herbert Bolliger: Prestige statt Macht

Der zukünftige Migros-Boss soll ein guter Stratege sein. In der Öffentlichkeit fiel er vor allem durch markige Sprüche auf.

Herbert Bolliger wird im Juli 2005 neuer Konzernchef der Migros. Viel beschäftigt ist er aber auch in seiner jetzigen Funktion als Chef der Migros-Genossenschaft Aare und darum für die WOZ tagelang nicht erreichbar. Schliesslich entscheidet die Konzernsprecherin Monica Glisenti, dass Herr Bolliger die vorgesehenen Fragen erst nach Amtsantritt beantworten könne, weil sie zu sehr die Unternehmensstrategie beträfen, in die er sich noch nicht öffentlich einmischen wolle.

Unbeantwortet bleibt die Frage, was Herbert Bolliger von den wirtschaftsdemokratischen Strukturen hält, die Migros-Vater Gottlieb Duttweiler in die Statuten geschrieben hatte, die jedoch nach und nach unterwandert wurden. Werden bald wieder Genossenschafter­Innen faktisch mitbestimmen können?

Für Pierre Rappazzo, den Präsidenten der Migros-Demokratiebewegung Sorgim, besteht Hoffnung. Und zwar aus­gerechnet aufgrund einer Aussage Bolligers, die einen anderen duttweilerschen Zopf abschneiden will: So verkündete der frisch gebackene Konzernchef, der Verkauf von Alkohol sollte Gegenstand einer Urabstimmung werden. «Es gibt zwar keine Urabstimmungen mehr, aber dass Bolliger die Genossenschafter befragen will, ist vielversprechend», sagt der umtriebige Migros-Kritiker Rappazzo.
Persönlich kennt Rappazzo den neuen Migros-Chef nicht. «Er ist ein unbeschriebenes Blatt.» Das sei für diesen Pos­ten auch üblich, denn der verspreche zwar Prestige, wegen der unübersichtlichen Unternehmensstruktur aber kaum Macht. «Der Entscheidungsspielraum liegt bei den regionalen Genossenschaftsfürsten, die lieber schwache Persönlichkeiten zum offiziellen Chef ernennen», sagt Rappazzo.

Ein guter Stratege, aber ein schlechter Kommunikator, so schätzen ihn BeobachterInnen durchgehend ein. Der Verkehrs-Club der Schweiz musste sich von ihm während der Zusammenarbeit beim Mammutgrossprojekt Bern-Brünnen gar vorwerfen lassen, er sei eine «Sekte» und bediene sich der «Erpressung». Und Vreni Vogt, die Berner Regionalsekretärin der Gewerkschaft VHTL, bekam Bolliger nicht ein Mal zu Gesicht: «Er hat den Kontakt zu den Gewerkschaften nicht gesucht.» Das überliess Bolliger seinem Personalchef. Das Personal in der Genossenschaft Aare erlebt ihn als introvertierten Chef: «Er grüsst nicht, wenn man ihn gelegentlich antrifft», weiss Vogt von Migros-Angestellten.

Dass ihm die Lohnstruktur der Migros mehr oder weniger egal ist, legte Bolliger in einer «Rundschau»-Sendung offen: Damit konfrontiert, dass seine MitarbeiterInnen weniger als 3000 Franken pro Monat verdienten, zeigte er sich zwar überrascht, parierte aber mit einem «das interessiert mich nicht». Erst unter dem Druck der Gewerkschaften erhöhte die Migros die Mindestlöhne. Bolliger wird von daher auch wenig dagegen haben, den Druck, der durch die Konkurrenz der deutschen Hardcore­dis­counter Aldi und Lidl entstehen wird, auf die Angestellten abzuwälzen.