Migros/Sorgim: Orange Revolution

Nr. 46 –

Das ist der Traum vieler BloggerInnen: mit einer Website einen Grosskonzern ins Schwitzen bringen. Unternehmen wie Swissmetal, Nestlé oder Esec mussten das erfahren. Die meist anonymen BloggerInnen kritisierten Vorgänge in den Firmen oder zerrten Interna ans Tageslicht – und zwangen die Firmen zum Handeln.

Die Möglichkeiten des Internets macht sich auch der 41-jährige Thalwiler Marketingspezialist Pierre Rappazzo zunutze. Er knöpft sich die Firma mit den meisten Arbeitsplätzen der Schweiz vor – die Migros. Dazu hat er den Verein Sorgim gegründet. Ziel ist, die Migros zu demokratisieren. Sie soll sich auf die Thesen ihres Gründers Gottlieb Duttweiler und die Statuten der Genossenschaft zurückbesinnen. Denn die Migros ist basisdemokratisch organisiert und gehört den zwei Millionen Mitgliedern der zehn regionalen Genossenschaften. Jedes Mitglied könnte mitbestimmen, indem es sich in einen Genossenschaftsrat wählen lässt. «Das ist sich kaum jemand bewusst», sagt Rappazzo. Zum Teil kennen nicht einmal die Genossenschaftsräte die Statuten. Kein Wunder, verlaufen die Wahlen in diese Gremien still.

Die Statuten besagen etwa, dass die Migros mit einer «gesunden Familien- und Sozialpolitik» zur «materiellen und sozialen Wohlfahrt des Einzelnen und der Allgemeinheit» beitragen will. Die Richtlinien basieren auf Duttweilers Gedankengut. In dessen Thesen finden sich Sätze wie: «Wir müssen wachsender eigener materieller Macht stets noch grössere soziale und kulturelle Leistungen zur Seite stellen.» Oder: «Die Löhne und Saläre wie auch die Arbeitsbedingungen und das Verhältnis zu der Arbeiter- und Angestelltenschaft müssen vorbildlich sein.»

Solche Sätze treiben wohl jedem Gewerkschafter Tränen in die Augen. Doch VertreterInnen von Unia und Syna konnten in Verhandlungen bei der Migros wenig soziales Gedankengut erkennen: Beide Gewerkschaften sind nicht mehr Sozialpartner der Migros. Die Unia kritisiert den neuen Landes-Gesamtarbeitsvertrag (GAV) als «Sozialabbau auf dem Buckel der Angestellten». Die Migros bestreitet das. «Unia hat nach dem Zusammenschluss 450 GAV von den Vorgängerorganisationen übernommen. Drei Firmen weigerten sich, einen GAV mit uns abzuschliessen: Die Ems-Chemie, der Verband der Camionneure Astag und die Migros», sagt Unia-Sprecher Nico Lutz. Unia-VertreterInnen seien mehrmals wegen Aktionen in Migros-Filialen verklagt, vor Gericht aber freigesprochen worden. Auch das bestreitet die Migros. Die Mindestlöhne liegen um 3400 Franken. In den letzten Jahren stiegen die Löhne des Migros-Managements. Die Zahl der Angestellten sank hingegen 2005 trotz stark wachsendem Gewinn um 1223 auf 81049.

Zu Themen wie Mindestlöhne äussert sich Sorgim-Präsident Rappazzo nicht. Erst will er offene Wahlen erzwingen. Dann sollen sich die GenossenschafterInnen via Internet auf eine Firmenstrategie einigen. Rappazzo nennt das «digitale Demokratie». Dazu sucht er MitstreiterInnen und Migros-GenossenschafterInnen, die den KandidatInnen auf den Wahllisten die Stimme geben. Anreiz zum Mitmachen gibt ein Punktesystem (siehe www.sorgim.ch). Die Wahllisten müssen zehn Wochen vor dem nächsten Wahltermin im Juni 2008 beim Wahlbüro der Migros eintreffen und mindestens von einem Prozent der stimmberechtigten GenossenschafterInnen unterzeichnet sein. In der Genossenschaft Zürich sind das 3000 Mitglieder. Sorgim schaffte es 2004 nicht, rechtzeitig genügend KandidatInnen zu rekrutieren. Das soll sich 2008 nicht wiederholen. In den Genossenschaften Zürich, Aare, Basel, Luzern und Ostschweiz werden Wahllisten eingereicht. Gewinnt Sorgim dort die Mehrheit, kann der Verein die Mitglieder in die Delegiertenversammlung, dem höchsten Migros-Gremium, stellen.

Die laufenden Debatten über Abzocker machen Rappazzo ebenso Hoffnung wie die Vergangenheit: In den achtziger Jahren erzwang die Bewegung M-Frühling mit dem ehemaligen Migros-Mann Hans A. Pestalozzi offene Wahlen und schaffte auf Anhieb zwanzig Prozent der Stimmen.