Kunsthaus Zürich: Trophäen und Biografien
In Zürich wurde die Kunstsammlung Bührle neu eröffnet. Sie begann mit einem Protest der historischen Begleitgruppe und ist doch ein grosser erster Schritt.
Dass die Kunstsammlung Emil Georg Bührles jenen Leuten, die mit ihr arbeiten, gelegentlich Skandale bereitet, ist eigentlich wunderbar und gerecht. Geht es dabei doch um Kunstwerke, deren frühere Besitzer:innen von den Nazis enteignet, verfolgt oder ermordet wurden. Um Kunst, die nur dank der Verfolger in den Besitz des Waffenfabrikanten Bührle gelangte. Und es geht um Kunst, die selbst nach dem Krieg günstig eingekauft werden konnte, weil Überlebende des Holocaust dringend finanzielle Mittel brauchten. Während die Geschäfte Bührles weiterhin boomten.
Auch der neuen Direktorin des Kunsthauses Zürich, Ann Demeester, schien die Problemgeschichte der Sammlung um die Ohren zu fliegen, als ihr wissenschaftlicher Beirat im Oktober kollektiv zurücktrat – aus Protest gegen die von ihr verantwortete Ausstellung, die nun eröffnet worden ist. Das Kunsthaus hatte den Beirat eingesetzt, um die neue Hängung der Sammlung Bührle und ihre Kontextualisierung kritisch zu begleiten. Nach dem Kunsthaus-Skandal vor einigen Jahren, als Demeesters Vorgänger die mit Blutgeld zusammengekauften Bilder nahezu kritiklos ausstellen wollte, als Vertreter der Bührle-Stiftung und der Stadt Zürich versuchten, einen wissenschaftlichen Bericht über den Sammler zu zensieren, reagierte das Kunsthaus jetzt souverän. Es lud den dissidenten Beirat zur Pressekonferenz am Tag der Vernissage ein und liess ihn dort seine Positionen vertreten.
Neubeurteilung im Sommer 2024
Demeesters Ausstellung ist wirklich sehenswert: Sie beginnt mit dem Mädchenporträt «La petite Irène» von Pierre-Auguste Renoir aus dem Jahr 1880, einem «Meisterwerk des Impressionismus», und erzählt seine Geschichte – jene des Malers, die des Bildes und jene der abgebildeten Irène. Diese war eine jüdische Bankierstochter, die sechzig Jahre später den Holocaust überlebte, während ihre Nachkommen von den Nazis umgebracht wurden. Nach 1945 bekam Irène das gestohlene Jugendporträt zurück. Sie verkaufte es an Emil Georg Bührle.
Neben das Bild der «Kleinen Irène» ist eine textliche Darstellung der Figur des Waffenhändlers und Kunstsammlers gesetzt. Seine enge mäzenatische Verbindung mit dem Kunsthaus wird anhand der Seerosenbilder von Claude Monet und des «Höllentors» von Auguste Rodin gezeigt. Das «Höllentor» war als Abguss für Adolf Hitlers nie verwirklichtes «Führermuseum» in Linz gedacht, dank Bührle-Geldern steht es heute am Zürcher Heimplatz. Die Seerosenbilder hatte der Industrielle selber im Atelier Monets gekauft und dem Kunsthaus geschenkt.
Nicht alles in der Sammlung ist also gestohlene oder «verfolgungsbedingt entzogene» Kunst. In der neuen Ausstellung stehen Werke aus jüdischem Vorbesitz jedoch im Mittelpunkt, auch solche, deren Provenienz von einem unabhängigen Team um den Historiker Raphael Gross – Präsident des Deutschen Historischen Museums in Berlin – derzeit überprüft wird. Je nach Erkenntnissen, die Gross im Juni 2024 vorlegen soll, muss die Ausstellung verändert und angepasst werden.
Sammler auf Safari
Ein Raum widmet sich dem Dialog. In Videoaufnahmen äussern Zeitgenoss:innen ihre Einsichten zur Sammlung Bührle, darunter letzte Überlebende, Politiker, Kunst- und Diversitätsexpert:innen, Historiker:innen, auch der Autor Erich Keller, der vor zwei Jahren die wichtigste Publikation zum Thema veröffentlichte («Das kontaminierte Museum»). Der emeritierte Geschichtsprofessor Georg Kreis glänzt mit einem Lob der Sammlungstätigkeit Bührles: Statt mit Kunst hätte dieser sein Geld ja auch mit Segeln und Safaris verpulvern können! Kreis schliesst – nicht als Einziger – an die alte Verharmlosungsstrategie des Kunsthauses an, die von Demeester seit Anfang 2023 aufgegeben wurde. Ohne es zu wissen, stellt er damit einen Bezug zur kritischen Diskussion um Bührle her.
Denn in der Tat, wie auf einer Safari sammelte der schnell zu Reichtum gelangte Bührle im besetzten und verwüsteten Europa schönste Kunstwerke der frühen Moderne ein, um sie als Trophäen in die eigenen Hallen zu hängen. Dabei war er ein Sammler zweiten Grades, ein Profiteur, der meist Bilder erwarb, die andere schon einmal gesammelt hatten. Das entsetzliche Schicksal der einstigen Besitzer:innen interessierte ihn so wenig wie zeitgenössische experimentelle Kunst.
Der Beirat verlangt nun, dass die Vorbesitzer:innen im Kunsthaus ein ähnliches Gewicht erhalten wie der Profiteur. Die Geschichten dieser Kunstliebhaber:innen des Vorkriegseuropas, deren Lebenswelt auch mithilfe von Bührles Kanonen vernichtet wurde, sollen gleichberechtigt neben jener des Waffenhändlers erzählt werden – bis sich die verschiedenen Perspektiven an historischen Punkten überschneiden. Selbst im sehr eindrücklichen Saal, der speziell dem Kunstraub gewidmet ist und die Biografien der jüdischen Vorbesitzer:innen neben ihre Bilder stellt, sehen wir diese vornehmlich in Bezug auf Bührle aufscheinen: Selbst die «Kleine Irène» bleibt als sein Sammelstück ein tragisches Anhängsel des grossen Bührle.
Man möchte eine Ausstellung, die sich von Bührle stärker löst, sehr gerne sehen. Es wäre ein gewaltiger nächster Schritt. Doch der erste, den das Kunsthaus nun gemacht hat, ist schon so bedeutend, dass man sich wundert, wie er jetzt plötzlich möglich war.