Foulards Violets: «Uns den Platz nehmen, der uns zusteht»

Nr. 25 –

Die antirassistische und die feministische Bewegung mobilisieren Massen. Als feministische Muslimas sind die Foulards Violets Teil von beiden. Trotzdem waren sie lange kaum hör- und sichtbar. Das hat sich geändert: Ein Besuch in Genf.

Ouissem Bennour (links) und Inès El-Shikh (Dritte von links) mit Mitstreiterinnen. Die Barbiepuppen waren Teil einer Installation anlässlich des Jahrestags des Frauenstreiks.

Ein Jahr ist vergangen seit dem historischen feministischen Streik. Zum Jahrestag fanden am vergangenen Sonntag in allen grösseren Städten der Schweiz feministische Stadtrundgänge, Protestaktionen und Demonstrationen statt.

So auch in Genf. Auf der Place de Bel-Air haben die Foulards Violets ihren Stand aufgestellt, ein Kollektiv, das sich laut Selbstbeschreibung «aus muslimischen und nicht-muslimischen Frauen zusammensetzt» – «unabhängig davon, ob diese das Kopftuch tragen oder nicht, aber aus Solidarität mit allen Frauen, die es tragen».

Als feministische Musliminnen befänden sie sich an einer Schnittstelle zwischen der feministischen Bewegung und dem antirassistischen Widerstand, sagt Inès El-Shikh: «Einerseits identifizieren wir uns mit feministischen Prinzipien. Andererseits sind wir aber auch als muslimische Frauen in unserem täglichen Leben überproportional von rassistischer, sexistischer und islamophober Diskriminierung betroffen. Gemäss Studien richten sich über achtzig Prozent aller islamfeindlicher Vorfälle gegen Frauen. Der Kampf gegen die Islamophobie sollte deshalb auch ein eigenständiger feministischer Kampf sein.»

Vorsichtiger Optimismus

Zu lange seien sie unsichtbar gewesen und nicht wahrgenommen worden, sagt El-Shikh. «An Tagen wie heute sind wir hier, um hinzustehen und uns den Platz zu nehmen, der uns zusteht.»

Die Inhalte der Foulards Violets lassen sich keineswegs auf religiös bedingte Auseinandersetzungen reduzieren: An ihrem Stand fordern sie die eigenständige Wahl ihrer Geschlechtsidentität ebenso wie jene ihrer Kleidung im Berufsalltag – und setzen sich dafür ein, dass sie für ihre Leistungen respektiert und nicht auf ihr Aussehen reduziert werden.

Auf den letztjährigen grossen Streik angesprochen, geraten alle Anwesenden ins Schwärmen. Auf ihrer Website schreiben sie aber auch von den negativen Seiten, insbesondere von antimuslimischer Diskriminierung, die sie am Frauenstreik 2019 erfahren hätten. «Ihr seid eine Schande» oder «Ihr verteidigt die Unterdrückung der Frauen», hiess es in ihre Richtung (siehe WOZ Nr. 23/2020 und WOZ Nr. 24/2020 ).

In einem nachträglichen Statement machten die Foulards Violets klar, dass sie sich davon nicht unterkriegen lassen – und nicht daran denken, sich mit dem ihnen zugewiesenen Platz abzufinden. Sie betonen, dass die Reaktionen auf ihre Präsenz am Frauenstreik überwiegend positiv waren und die diskriminierenden Aussagen allesamt nicht aus dem Umfeld der Streikorganisatorinnen kamen, die sich stets solidarisch gezeigt hätten. Man habe zwar bei einer Nachbearbeitung über die Vorfälle geredet, eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema habe jedoch nicht stattgefunden. Diese wäre wünschenswert gewesen, um das Bewusstsein zu stärken, dass Diskriminierung auch innerhalb emanzipatorischer Bewegungen stattfindet, meint Inès El-Shikh: «Unsere Ansichten zum Kopftuch sind weitgehend unpopulär. Insgesamt haben wir immer noch wenig Gewicht und befinden uns in einer sehr fragilen Position.»

Natürlich sei es ermutigend, dass antirassistische und feministische Bewegungen derzeit die Massen mobilisierten. «Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir, wenn wir uns auch nur kurz zurückziehen würden, sofort wieder in Vergessenheit gerieten», betont El-Shikh. «Die Möglichkeiten, an Veranstaltungen, Protesten und Demonstrationen teilzunehmen, sind oft auch mit Privilegien verbunden, folgen bestimmten Codes und sind manchen dadurch viel einfacher zugänglich als anderen. Unser Kampf besteht auch darin, solch elitäre Hindernisse aus dem Weg zu räumen.»

Eine an diesem Tag unüberhörbare Stimme des Kollektivs ist Ouissem Bennour. Sie trägt ein violettes Kopftuch, hat eine kleine Djembe unter dem Arm und ruft via Mikrofon Parolen durch das sonntägliche Genf. Im Gespräch rund um ihre Erfahrungen als feministische Muslima findet sie klare Worte: «Im Zentrum unserer Forderungen steht das Ziel, dass alle Menschen die gleiche Wahl haben können – unabhängig von Geschlechtsidentität, Herkunft oder Religion», sagt sie, umgeben von Lautsprecherwagen und Streikteilnehmerinnen auf dem Plainpalais. Den Streik vor einem Jahr bezeichnet sie als wichtigen Wendepunkt: «Durch dieses gemeinsame Erlebnis sind wichtige Verbindungen entstanden. Unsere Positionen und Erfahrungen werden seither mehr wahrgenommen.» Dabei gehe es insbesondere auch um den alltäglichen Rassismus und die oft unsichtbare Diskriminierung als Muslima: «Viele von uns haben Diplomabschlüsse und gute Ausbildungen, finden aber trotzdem keinen Job», erzählt die gelernte Architektin.

Gegen das Laizitätsgesetz

In den Gesprächen mit den Foulards Violets wird klar: In diesem Kollektiv steckt viel Wissen aufgrund jahrelanger Erfahrung mit strukturellem Rassismus. Er ist für viele von ihnen anstrengende Realität, gegen die sie sich schon lange wehren. Diese Diskriminierung sei nun sogar durch Gesetze institutionalisiert, fügt Inès El-Shikh hinzu: «Zum Beispiel durch das Laizitätsgesetz in Genf.»

Mit dem feministisch-antirassistischen Kollektiv Faites des Vagues hat El-Shikh das Referendum dagegen mit initiiert, ist damit aber gescheitert: Das neue Gesetz, das im Februar 2019 von der Stimmbevölkerung angenommen wurde, verbietet Politikerinnen und Staatsangestellten seither das Tragen von öffentlich sichtbaren religiösen Symbolen. «Das führt dazu, dass ein Teil der Bevölkerung in bestimmten Berufen nicht arbeiten darf – und kein Recht dazu hat, die Bevölkerung zu vertreten», sagt El-Shikh. «Dieses Gesetz macht Musliminnen unsichtbar und drängt sie in den Niedriglohnsektor, weil sie nicht in den öffentlichen Diensten arbeiten können. Und es ist zusätzlich ein Signal an den privaten Sektor, das auch zu tun.»