Tagebuch-Eintrag vom Weltsozialforum in Dakar: Aufbruchstimmung für eine andere Welt – Eindrücke vom Eröffnungsmarsch

Nr. 5 –

Margret Kiener Nellen

Tausende Menschen wurden zum heutigen Eröffnungsmarsch des Weltsozialforums 2011 hier in Dakar (Senegal) erwartet. Seit Tagen waren Karawanen aus verschiedenen Ländern Afrikas per Velo, Bus oder zu Fuss nach Dakar unterwegs. Flugbillette innerhalb Afrikas sind (zu) teuer. Eine Kollegin aus Nairobi (Kenia) zahlte mehr als das Doppelte für ihren Flug nach Dakar als ich aus Zürich. Das reduziert die Zahl der Teilnehmenden aus Afrika.

Trotzdem waren wir zahlreich: Bei kühlendem Atlantikwind starteten am Sonntag um 14 Uhr rund 75′000 Menschen aus allen Kontinenten vom zentralen Sfax-Platz in Dakar aus zu einen friedlichen Marsch zur Cheikh Anta Diop Universität. Dort werden rund 1200 Organisationen (500 aus Afrika und 700 aus den anderen Kontinenten) sowie mindestens 50′000 angemeldete TeilnehmerInnen aus 123 Ländern die anspruchsvollen Themen für eine andere, gerechte und solidarische Welt bearbeiten.

An der Spitze des Zuges: afrikanische ExponentInnen von sozialen Bewegungen und Dachorganisationen von FischerInnen, BäuerInnen, LandarbeiterInnen sowie Gewerkschaften. Mit 123 Nationalitäten könnte der Umzug farbenfroher nicht sein. Unsere Schweizer Delegation reiht sich ein zwischen einer italienischen Gewerkschaftsdelegation und einer grossen Delegation aus Marokko. Unverkennbar die Fahnen der Schweizer Gewerkschaft Unia. Afrikanische Trommeln geben von Beginn weg einen rassigen Takt an. Dazu lassen sich die rund fünf Kilometer gut zurücklegen! Übrigens: Sicherheitskräfte braucht es hier deutlich weniger als am Weltwirtschaftsforum in Davos – und Dakar wurde auch nicht zur Festung umgebaut.

Mit grossem Applaus wird eine Delegation aus Tunesien begrüsst. Kaum je war der Aufschrei nach Demokratie in Afrika weltweit sichtbarer als heute. Genau zu dem Zeitpunkt, da in Nordafrika – in Tunesien und Ägypten autoritäre Regimes gestürzt werden und in der Elfenbeinküste ein akuter Konflikt um die Präsidentschaft entbrannt ist, schauen AfrikanerInnen mit Interesse auf die politischen Alternativen In Lateinamerika: Bolivien, Brasilien und Ecuador sind zu vielversprechenden alternativen Staatsmodellen geworden. Evo Morales, Staatspräsident von Bolivien, ist persönlich anwesend. In einem überzeugenden Auftritt motiviert er die Anwesenden mit einer langen Rede, in allen Ländern soziale Bewegungen, Gewerkschaften und politische Parteien so aufzubauen und zu organisieren, dass sie bei Wahlen eine Mehrheit gewinnen. Er teilt uns auch seinen Traum mit: Möglichst viele zukünftige StaatspräsidentInnen sollen aus den ForumsteilnehmerInnen hervorgehen.

Ich spüre hier viel Kraft und eine grosse Solidarität. Das gemeinsame Ziel ist klar: weg von einem System, das Reichtum für wenige und immer mehr Armut für viele bringt. Wir sind nicht verdammt dazu, alle paar Jahre eine immer einschneidendere Krise wegen des herrschenden Kasinokapitalismus zu erleiden. Und: Wir müssen handeln, bevor die nächste Krise kommt.

Ein Sprichwort aus Senegal lautet: «Die Schweiz hat die Uhren erfunden, aber Senegal die Zeit.» Ich hoffe, wir nutzen die Zeit hier in Dakar, um konkrete Massnahmen für eine andere Welt zu planen. Bereits vor dem Forum wurde eine Charta für MigrantInnen verabschiedet. Eine andere Welt ist möglich. Ich freue mich auf ergebnisreiche Tage hier in Dakar. Die Aufbruchstimmung für eine andere Welt ist da!