Tagebuch aus Tunis: Heftig, lebendig, kontrovers

Therese Wüthrich

«Es ist ein gutes Zeichen, dass das Weltsozialforum mit der Frauenversammlung beginnen kann», sagte am Dienstag die Präsidentin der Association Tunisienne des Femmes Démocrates (ATFD), Ahlem Belhadj in ihrer Eröffnungsrede. Sie bringt damit zum Ausdruck, dass die tunesischen Frauen während der Revolution eine grosse Rolle eingenommen haben. Sie waren während jeder Etappe an vorderster Front und präsent.

Jetzt, in der Phase der Transformation, gelte es dafür zu kämpfen, dass die Frauen ihre Rechte und ihren Anteil an Gesellschaft und Politik bekommen. «Wir wollen kämpfen bis zum Schluss. Wir werden keine Forderungen fallen lassen!» So die kämpferischen Worte von Ahlem Belhadj. Denn es gibt Kräfte in Tunesien, die die Rechte der Frauen bekämpfen. Sie sehen die Frauen lieber als «Ergänzung» zu den Männern.

«Wir wollen Frieden, Freiheit und Rechte. Wir wollen gesellschaftliche, ökonomische, politische Teilhabe», sind sich die Frauen der Maghreb-Länder einig, die zusammen mit linken Vertreterinnen aus dem Europaparlament und der Europäischen Feministischen Initiative (IFG)am Workshop «Egalite d'abord» diskutieren. Die Frauen aus Tunesien und verschiedenen anderen Ländern des Südens rufen die Frauen auf, sie dabei aktiv zu unterstützen.

Weltweite Solidarität fordern auch Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen, die sich auf Einladung der Union Générale des Travailleurs Tunesiens (UGTT) Anfang Woche zur Vorbereitung und Koordination des Weltsozialforums getroffen haben. Auch sie stellen die Rechte für Frauen, Jugendliche und Arbeitnehmende in den Vordergrund; sie fordern menschenwürdige Arbeit, Bildung und Gesundheit für alle und eine energischere Bekämpfung von Armut und Hunger.

Eigentlich sollte nicht über Geschlechterquoten diskutiert werden müssen: Die Frauen machen mehr als die Hälfte der Bevölkerung aus. Sie müssen zu Rechten und Positionen den gleichen Zugang haben wie die Männer. Am Workshop «Egalite d'abord» kritisierte ein tunesischer Teilnehmer die UGTT, die einen Frauenanteil von vierzig Prozent ausweist: In den obersten Entscheidungsgremien sind keine Frauen zu finden.

Heftig, lebendig und kontrovers wird seit dem Beginn des Forums diskutiert. So auch am Workshop von Alliance Sud zu Schulden und Kapitalflucht. Letztere wird in Tunesien vor allem mit dem Clan des gestürzten Präsidenten Ben Ali in Verbindung gebracht, der Unsummen von Geld auf Schweizer Banken deponiert hat.

Repräsentanten von Tunesien und der Schweiz, unter ihnen der Schweizer Botschafter in Tunis, legen ihre Sicht der Dinge dar und gehen der Frage nach, wie die Zivilgesellschaft Druck auf die Regierungen ausüben kann. Von Workshop-Teilnehmenden wurde die Schweiz heftig kritisiert – zu Recht. Arme Bevölkerungsschichten in Tunesien leiden Hunger. Sie verstehen nicht, warum es so lange dauert, bis das Geld, das dem tunesischen Volk gehört, zurückbezahlt wird. Der Botschafter versichert, dass die Schweiz mithelfen will, dass das Geld in die richtigen Hände zurück fliessen kann. Nehmen wir ihn beim Wort!