Gegen Davos: Weltsozialforum Porto Alegre: Die Deglobalisierung

Als «lächerliche Alpenfestung» bezeichnete ein brasilianischer Journalist das Weltwirtschaftsforum Davos. Das Weltsozialforum (WSF) in Porto Alegre musste sich hingegen vor niemandem schützen.

«Davos ist die Vergangenheit, Porto Alegre die Zukunft», so begann Walden Bello sein Plädoyer für eine Neuordnung des internationalen Handels- und Finanzsystems. Für den philippinischen Soziologen und Leiter des Forschungszentrums «Focus on the Global South» in Bangkok müssen «Widerstand» und «Innovation» dialektisch zusammen gedacht werden. Nach den Protesten in Seattle, Prag und Davos war das Weltsozialforum (WSF) im brasilianischen Porto Alegre der erste gross angelegte Versuch der «internationalen Zivilgesellschaft», Reformvorschläge zu entwickeln.

Einige Themen kehrten auf den Podien und in den über 400 Workshops immer wieder, so etwa die Steuer auf internationale Finanztransaktionen («Tobin-Steuer»), ein Anliegen des mittlerweile in gut 20 Ländern funktionierenden «Netzwerks für eine demokratische Kontrolle der Finanzmärkte» Attac. Unumstritten unter den 4700 TeilnehmerInnen war die Forderung nach einem Schuldenerlass für die Länder des Südens. Der kubanische Parlamentspräsident Ricardo Alarcón rechnete vor, dass sich die Schuldenlast der Drittweltländer seit 1980 von 567 Milliarden auf gut 2,5 Billionen US-Dollar vervielfacht hat. In Lateinamerika habe sich die Zahl der Armen auf 200 Millionen mehr als verdoppelt.

Weiterer Konsens: die Stärkung staatlicher, vor allem kommunaler Einrichtungen, wie sie etwa die Arbeiterpartei PT in Porto Alegre betreibt. Die PT verfolgt seit 12 Jahren eine Kommunalpolitik, die nicht nur in Lateinamerika selten zu finden ist: nicht korrupt und sozial, mit basisdemokratischen Elementen. Durch die Mechanismen des «partizipativen Haushalts» kann die Bevölkerung über die Investionen der öffentlichen Hand mitbestimmen. Dass zwischen reformistischer – in Europa würde man sagen: klassisch sozialdemokratischer – Praxis und oft verbalradikaler Rhetorik eine Kluft besteht, war auch auf dem WSF zu beobachten.

Der PT-Ehrenvorsitzende Luiz Inácio Lula da Silva beklagte, die Rechte versuche das Treffen als «politisch» im Sinne von parteipolitisch zu diskreditieren. Die Vorwärtsverteidigung gelang nur zum Teil, auch das achtköpfige Organisationskomitee war über die Frage gespalten, ob das Nachfolgetreffen im kommenden Jahr erneut Porto Alegre angetragen werde sollte, weil einige Mitglieder des Komitees befürchteten, das Forum werde im Wahljahr zur Parteiveranstaltung der PT degradiert. Erst wenige Stunden vor der Abschlusskundgebung liessen sie sich dazu überreden, Porto Alegre als Hauptaustragungsort für das WSF 2002 zu akzeptieren. Zusätzlich wurde vorgeschlagen, zeitgleich auch in anderen Regionen Treffen abzuhalten.

Für die VertreterInnen von Nichtregierungsorganisationen (NGO), die das Gros der über 3000 offiziellen Delegierten stellten, standen Informationsaustausch und Debatten über das weitere gemeinsame Vorgehen im Vordergrund. «Wir haben erlebt, dass wir stärker sind, als wir dachten», sagte Michael Windfuhr von der internationalen Menschenrechtsorganisation FIAN (Foodfirst Information and Action Network). Zwischen der NGO-Szene und linken AktivistInnen habe eine «erstaunliche Toleranz» geherrscht. Allerdings mache es der Pluralismus auch schwer, gemeinsame Positionen zu erarbeiten – etwa bei solch komplexen Themen wie dem Welthandel.

Der berühmteste Drittwelt-Ökonom Walden Bello sieht nun die «historische Chance» gekommen, «hierarchische, undemokratische Institutionen» wie den Internationalen Währungsfonds (IWF), die Weltbank und die Welthandelsorganisation weiter zu schwächen. Seine Alternative: «Deglobalisierung». «Wir sollten uns nicht von der Weltwirtschaft abkoppeln, aber wieder mehr für den internen Verbrauch produzieren», meint Bello. Auch die Abhängigkeit von ausländischen Investionen und Finanzmärkten gelte es zu reduzieren. Ziel der Politik müsse es sein, die Vielfalt menschlicher Gemeinschaften zu respektieren und zu fördern.

Wie können die Forderungen des Forums umgesetzt werden, wie der Druck auf die neoliberale Weltordnung aufrechterhalten werden? Auch hierfür hat sich schon eine gemeinsame Sprach-regelung eingebürgert. Durch die Verstärkung der «sozialen Kämpfe» in den jeweiligen Ländern, so etwa Attac-Vorsitzender und Mitorganisator Bernard Cassen, müssten den Regierungen Konzessionen abgerungen werden.

Das von brasilianischen NGOs dominierte Organisationskomitee hatte sich schon im Vorfeld – im Einklag mit den örtlichen PT-Behörden –
erfolgreich bemüht, militantere Aktionen zu unterbinden. So führte die Route der Eröffnungsdemo weder an einer McDonald’s-Filiale noch an den Gebäuden ausländischer Banken vorbei. Trotzdem wurde nicht nur geredet: 800 Landlose der brasilianischen Landlosenbewegung MST (Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra) und ihre Partnerorganisationen besetzten zu Beginn des Weltsozialforums in der Stadt Não-Me-Toque (Portugiesisch: Rühr mich nicht an) ein Gen-Soja-Versuchsareal des US-Multis Monsanto. Unter Mithilfe des französischen Aktivisten José Bové rupften sie auf zwei Hektaren Sojastauden aus. João Pedro Stedile von der nationalen MST-Leitung beschuldigte den Konzern, in Brasilien illegal den Anbau von Gen-Soja zu fördern.

Pünktlich zu einer gemeinsamen Veranstaltung der beiden Bauernsprecher am Montagabend dann der Eklat: «Habt ihr schon mal erlebt, dass die Polizei einen Banker oder einen Monsanto-Manager abführt?», fragte Stedile im Plauderton. «Gerade haben wir erfahren, dass sie Bové festnehmen wollen.» Wenige Stunden später war es offiziell: Wegen Landfriedensbruch sollte der Bauernsprecher innerhalb von 24 Stunden das Land verlassen. Doch am Tag darauf entschied ein Landesgericht, Bové, der es in Brasilien rasch zum Volkshelden gebracht hatte, bis zu seinem geplanten Abflug am Mittwochabend unbehelligt zu lassen. Die militanten Bauern werden weiter protestieren. Der Kleinbauern-Dachverband Vía Campesina plant für den 17. April [2001], weltweit Blockaden von Strassen, Häfen und Schienen, um gegen Agrarimporte und Gentechnik zu protestieren.

«Auf dem WSF haben wir eine starke Widerstandsbewegung gegen den Neoliberalismus entfacht», heisst es in einer abschliessenden Information der Veranstalter. Und sie nennen die Herausfordung für das Weltsozialforum 2002: die deutlich unterrepräsentierten Teile der Bewegung zu mobilisieren, etwa UmweltschützerInnen oder AktivistInnen aus Afrika und Asien aber, auch aus Nordamerika und dem nichtlateinischen Europa.