Tagebuch aus Tunis: Frauenpower mit Kopftuch und Maokäppi

Barbara Zahrli

«Die tunesischen Frauen engagieren sich zu 150 Prozent», sagt der Journalist Fadem Baukkaddou und zeigt auf die beiden Frauen, die zusammen mit ihm in Tunis die Schweizer Delegation besuchen. «Deshalb zählt eine tunesische Frau eigentlich eineinhalb mal». Fatma Dhaoumadi, Linksaktivistin und Gewerkschafterin aus der Minenregion Gafsa, ist eine von ihnen und zieht alle Blicke auf sich: Auf ihrem senffarbenen Kopftuch sitzt ein senffarbiges Maokäppi.

Ein Widerspruch? Nein, sagt Fatma entschieden. Der Schleier, an dem sich so viele Geister scheiden, sei ihre Privatsache. Darüber mag sie gar nicht reden. Die Revolution in Tunesien habe die Frauen mobilisiert und ermuntert, gegen Armut und soziale Probleme anzutreten sowie für die Freiheit und die Demokratie. Mit Religion habe das nichts zu tun gehabt. Der tunesische Islam sei von jeher sehr moderat gewesen und habe die Gleichberechtigung der Frauen akzeptiert, sagt sie.

Die Islamisten hingegen hätten die Diskussion um das Kopftuch sowie die Forderung nach einer Wiedereinführung der Polygamie und einer untergeordneten Stellung der Frau lanciert, um von den wirklichen Problemen des Landes, den wirtschaftlichen und sozialen, abzulenken. Gerade weil die Frauen so viel Kraft in die Revolution und damit den Fortschritt stecken, würden sie von den konservativen Kräften nun heftig attackiert.

«Einen islamistischen Islam wird es in Tunesien nie geben», sagt auch Sophia Hammami und ist optimistisch, «dagegen werden wir Frauen uns bis zum Letzten wehren». Sie ist Journalistin und wird im Internet täglich übel beschimpft. Während der Diktatur bis 2011 sei es kaum möglich gewesen, sich öffentlich für soziale Verbesserungen und Menschen- oder Frauenrechte stark zu machen, erläutert sie. Inzwischen aber sei sie als Journalistin freier und könne über diese Themen schreiben, auch wenn sie dafür manchmal Hohn und Bedrohungen von einem (kleinen) Teil der Bevölkerung ernte.

Zu den «eineinhalb Frauen» gehört auch Besma Khalfoui, die der sechzigköpfigen Schweizer Delegation später die Ehre erweist. Die Feministin und Rechtsanwältin ist die Witwe von Chokri Bellaîd, dem Leader der oppositionellen Volksfront, der vor sechs Wochen ermordet wurde und heute in Tunis eine Ikone ist. Sie habe sofort jegliche Trauer zur Seite geschoben, sagt Besma. Tunesien mache sehr gefährliche Momente durch und es gelte, algerische Verhältnisse zu verhindern, meint sie Anspielung auf den blutigen Bürgerkrieg der 1990er Jahre im Nachbarland. Die wichtigste Aufgabe sei heute, eine Spirale der Gewalt zu verhindern. Wenige Tage nach der Ermordung ihres Mannes hat sie eine grosse Stiftung gegen die Gewalt in der Politik gegründet. Ob sie keine Angst habe, wird sie gefragt. Nein, sagt sie entschieden. Und auf das Weltsozialforum angesprochen, meint sie, es sei für Tunesien sehr wichtig, gerade um der Politik der Regierung entgegenzutreten, die Angst verbreiten und die Menschen einschüchtern will.