Weltsozialforum in Bamako, Mali: Im Kongresspalast und unter dem Strohdach

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Beim Weltsozialforum in Mali gab es fünf Tage Anschauungsunterricht in Sachen Auswirkungen der Globalisierung.

Am Montagnachmittag ist es erstmals so richtig heiss in Bamako. In der malischen Hauptstadt findet die Abschlusszeremonie des Weltsozialforums (WSF) statt. Symbolik ist in dem von Dürre und Trockenheit geplagten Land angesagt: Schulkinder pflanzen Palmensetzlinge, EuropäerInnen graben Eukalyptuspflänzchen in die Erde.

Doch es werden auch konkrete politische Forderungen gestellt. Rund um die jugendlichen und älteren BaumpflanzerInnen haben Frauen und Männer aus Mali mit drei grösseren Transparenten Aufstellung genommen. Sie fordern: «Stoppt die Privatisierung. Gebt dem Volk von Mali die Eisenbahn zurück» und «Erstattet Doktor Tiecoura Traoré seine vollen Rechte zurück.» Der Eisenbahningenieur Tiecoura Traoré ist zum Anführer im Kampf gegen die Privatisierung des malischen Eisenbahnnetzes geworden. Dieses wurde 2003 vom französisch-kanadischen Konsortium Transrail aufgekauft. Die Gesellschaft schloss seither 26 von 36 Bahnhöfen. Traoré wurde ohne Angabe von Gründen entlassen.

«Sehen Sie diese Frauen dort, sie sind aus Regionen ausserhalb von Bamako gekommen, um uns zu unterstützen», sagt Tiecoura Traoré der WOZ. «Manche von ihnen haben Ehemänner, die bei der Bahn arbeiteten. Aber die meisten von ihnen hatten mit dem Betrieb als solchem nichts zu tun. Sie arbeiteten wie viele hier im informellen Sektor und boten auf den Bahnhöfen und entlang der Strecken die unterschiedlichsten Waren, oft Nahrungsmittel und Speisen, an. Jetzt wurde ihnen die Lebensgrundlage entzogen.»

Baumwolle auf dem Weltmarkt

Die Folgen der unter Druck der internationalen Finanzinstitutionen vorgenommenen Privatisierungen in Afrika waren am Weltsozialforum ein zentrales Thema. Ein weiteres Beispiel aus Mali beleuchtete darüber hinaus die Problematik des internationalen Handels mit landwirtschaftlichen Produkten. So wird derzeit in Mali auch die staatliche Textilgesellschaft CMDT Stück für Stück privatisiert. Bislang hat die CMDT den BaumwollproduzentInnen einen fixen Abnahmepreis garantiert. Die BäuerInnen befürchten, dass damit spätestens 2008 Schluss sein wird. Die Preise könnten bei einer vollprivatisierten CMDT unkontrolliert fallen. Das würde die Existenzgrundlage von drei Millionen Menschen in Mali bedrohen. Ausgerechnet in den USA wird demgegenüber die Baumwollproduktion hoch subventioniert. Nur deswegen ist die US-Baumwolle international konkurrenzfähig. Allerdings nützen diese Subventionen nur wenigen: Wo im US-Bundesstaat Louisiana vor vierzig Jahren noch zwei Millionen BaumwollfarmerInnen tätig waren, sind es heute noch 30000. «Um eine Jeanshose zu kaufen, muss ich jetzt siebzig Kilometer mit dem Auto fahren», hört man einen US-Landarbeiter in einem französisch-malischen Dokumentarfilm sagen. In Mali dagegen lebt eine Mehrheit der Bevölkerung von der Landwirtschaft, und ein bedeutender Teil von ihr wiederum vom Baumwollanbau.

Kritik nicht übertreiben

Dennoch sind diese Themen nicht beherrschend beim Weltsozialforum. Zunächst einmal aus einem nachvollziehbaren Grund - weil es sich eben um ein internationales und nicht ein landesweites oder regionales Forum handelt. Aber zahlreiche TeilnehmerInnen wären sicherlich damit einverstanden gewesen, die globalen Fragen auch anhand der lokalen Ausbeutungssituation zu studieren. Die das Forum hauptsächlich veranstaltenden nichtstaatlichen Organisationen jedoch, als deren graue Eminenz sicherlich die frühere malische Kulturministerin Aminata Traoré gelten darf, waren in ihrer Mehrheit für einen eher verhaltenen Kurs: Kritik an den westlichen Grossmächten dürfte auf dem Forum zwar zum Ausdruck kommen, aber man solle es dabei auch nicht übertreiben. So war am Sonntag eine Demonstration von ehemaligen Sans-Papiers angesagt, die aus Europa ausgeschafft worden waren. Von den 500 TeilnehmerInnen marschierte dann allerdings nur die Hälfte vor die französische Botschaft. Die anderen blieben am Sammlungsort stehen - «auf telefonische Intervention von Aminata Traoré hin», wie ein französischer Aktivist zu wissen meinte.

Allerdings wurde beim Thema Einwanderungspolitik der Europäischen Union mit scharfen Worten nicht gespart. In dieser Frage gibt es in Ländern wie Mali einen breiten Konsens. Wie sozialwissenschaftliche Studien belegten, bildet die Emigration in vielen und vor allem in den entlegenen Regionen Malis einen wichtigen Entwicklungsfaktor. Dazu tragen nicht nur die Geldüberweisungen von EmigrantInnen an ihre Familien bei, sondern auch die kollektiven Projekte, die viele AuswanderInnen in ihrer Heimat anstossen. So finanzieren MigrantInnen in der Ferne gemeinsame Vorhaben in ihren Heimatdörfern wie etwa eine Brunnenbohrung. Diese Form nichtstaatlicher und nicht an internationale Kredite gebundener Entwicklungsfinanzierung kommt der malischen Regierung nicht ungelegen.

Aufruf an Europa

Zu den interessantesten Seminaren am WSF gehörte denn auch eine Veranstaltung zum Thema «Kriminalisierung von Migration». Lucile Damas von Attac Marokko ging scharf mit der europäischen Politik ins Gericht, die sich durch Heuchelei und Doppelbödigkeit auszeichne. Er kritisierte die abgeschlossenen Freihandelsabkommen zwischen Europa und den Ländern des Südens, in welchen immer viel von Zusammenarbeit und gegenseitigem Nutzen die Rede ist. Diese Rhetorik verschwinde sofort, wo es um den «Schutz» Europas vor unerwünschter Zuwanderung gehe, und mache einer regelrechten «Obsession der Abwehr» Platz. Staaten wie Marokko, Tunesien, Libyen und Ägypten liessen sich vor den europäischen Karren spannen und betrieben gegenüber den afrikanischen MigrantInnen eine vorgelagerte Abwehr- beziehungsweise Selektionspolitik. Der Parlamentsabgeordnete Ag Ibarcane aus Gao im Norden Malis forderte die EuropäerInnen auf, eine «Kampagne in den Tiefen Europas, bei ihren Wählern» zu entfachen, um für eine Öffnung Europas für ImmigrantInnen einzutreten.

Andere Veranstaltungen, die spannend zu werden versprachen, fanden teilweise nicht statt oder fielen unangekündigt aus, etwa weil die ReferentInnen fehlten. Die OrganisatorInnen waren durch den Andrang der gegen 20000 TeilnehmerInnen überfordert. Alles in allem hielt sich das Ausmass organisatorischer Probleme aber dennoch im Rahmen.

Arm trotz Gold

Wer hinhörte, erfuhr in den fünf Tagen WSF viel von den sozialen Konfliktthemen in Mali. So hatten AktivistInnen draussen vor dem Kongresspalast ein riesengrosses Strohdach aufgebaut, unter dem während drei Tagen ein Programm geboten wurde, das nicht in den offiziellen Veranstaltungsankündigungen stand. Auch wenn es nicht im Namen einer Gruppe oder Partei veranstaltet wird, hat doch offenkundig die kommunistische Bewegung Afrikanische Solidarität für Entwicklung und Unabhängigkeit aus Mali organisierend gewirkt. Diese Bewegung stellt zwar den Kultur- und Tourismusminister des Landes, ist aber de facto eher oppositionell. Die Veranstaltungen unter dem Strohdach waren vor allem von Einheimischen gut besucht. Minen- und LandarbeiterInnen sowie arme BäuerInnen kamen hier zusammen, die wütend ihren sozialen Protest vortrugen. So berichten AnwohnerInnen der Goldminen von grossflächiger Verseuchung mit Quecksilber. Die Männer und Frauen berichten von Missbildungen an den Kindern. In Mali ist in den letzten Jahren der Abbau von Gold ausgeweitet worden. Das Edelmetall ist inzwischen neben Baumwolle zum wichtigsten Exportgut geworden. Mitfinanziert wurde die Erschliessung der Minen durch die Weltbank. Bedingung war allerdings, dass der malische Staat die Minen privatisiert. Heute werden sie zumeist von grossen südafrikanischen Konzernen betrieben, welche hohe Profite einfahren. Der Bau von sozialen Einrichtungen in den angrenzenden Gemeinden kommt dagegen nur schleppend voran. Wer Arbeit in den Minen findet, verdient zwar überdurchschnittlich gut, muss jedoch massive Schikanen der Chefs in Kauf nehmen, wie Gewerkschafter berichten. Auf Streiks reagiert die Unternehmensleitung mit Repressionen.

Hier unter dem Strohdach konnte ein Weltsozialforum von seiner besten Seite beobachtet werden: Vom Diskutieren der globalen Probleme bis zum lokalen Handeln.

Drei Weltsozialforen

Statt eines grossen Treffens sollen 2006 drei so genannte polyzentrische Weltsozialforen (WSF) stattfinden. Das WSF in Bamako ist am Montag zu Ende gegangen. Vom 24. bis 29. Januar findet ein weiteres Treffen in der venezolanischen Hauptstadt Caracas statt. Anwesend sind gegen 100000 BesucherInnen. Zum ersten Mal hält an einem WSF auch ein amtierender Staatschef eine offizielle Rede - der venezolanische Präsident Hugo Chávez. Diese Nähe zur etablierten Politik stösst bei einem Teil der WSF-AktivistInnen auf Kritik. Das dritte Treffen soll Ende März im pakistanischen Karachi stattfinden. Wegen des Erdbebens in Kaschmir im letzten Jahr ist das allerdings noch nicht sicher. Weltsozialforen gibt es seit 2001. Viermal fanden sie im brasilianischen Porto Alegre statt, einmal (2004) im indischen Bombay. Nächstes Jahr ist im kenianischen Nairobi wieder ein grosses Treffen geplant.