Knapp daneben: Es funktioniert

Nr. 7 –

Eine halbe Stunde vor Spielbeginn herrscht in der U-Bahn sonntägliche Ruhe. Zwei Freunde mittleren Alters unterhalten sich leise, aber für alle hörbar, über den vergangenen Abend. Er sei eingepennt, erzählt der eine, vor dem Fernseher. Den ganzen Fussball habe er verschlafen. Dafür gabs danach einen Western mit Clint Eastwood, bis zwei. Dann steigen die beiden aus, und alle andern mit ihnen. Ohne Hektik, ohne Schubser, ohne Fluchen machen sich die Leute auf zum Stadion. 69'000 sind es, wie immer, wenn der FC Bayern München zuhause spielt.

Ich habe noch kein Ticket. Zwischen U-Bahnstation und Stadion wedeln vereinzelt Leute mit Karten. «Stehplatz?», frage ich. «Stehplatz, ja. Zehn Euro.» Zehn Euro? Ich wundere mich sehr. Es kommt mir kein Schweizer Superligist in den Sinn, der seine BesucherInnen für 16 Franken rein lässt. Ausserdem ist das Spiel ausverkauft, die Nachfrage gross. «10 Euro, wunderbar», sage ich und zahle. «Danke, servus», kommts mit einem Lächeln zurück. Ich schau mir das Ticket an. «Südtribüne 12 €» steht drauf.

Ein paar Schritte weiter werden die «Arena-Cards» verkauft und aufgeladen. Das Stadion selbst ist bargeldlose Zone. Eine Karte muss mit mindestens 10 Euro aufgeladen werden, wird mir erklärt. Weil ich Durst habe, willige ich ein. Und stelle mich mit Ticket und Arena-Card in die Schlange. Es dauert keine drei Minuten, bis ich gefilzt und drin bin. Reibungslos. Alles verläuft absolut reibungslos.

Der Bau ist beeindruckend. Herzog und De Meuron haben mit der «Allianz-Arena» ein Stadion gebaut, das scheinbar ohne Ecken auskommt. Alles wirkt rund, geschwungen, weich, angenehm. Bald wird ein weiteres Stadion von Herzog und De Meuron eröffnet, in Peking. Auftraggeber ist diesmal eine Regierung, die ihren Staatsangehörigen verbietet, Geschwister zu haben.

Das Spiel ist nicht sehr gut. Makaay schiesst nach einem Stellungsfehler der Bielefelder Abwehr schon früh das einzige Tor der Partie. Die «Süddeutsche Zeitung», in München zuhause, schreibt am folgenden Tag: «Die Bundesliga stabilisiert sich auf tiefem Niveau.» Die Stimmung auf den Stehrängen ist seltsam. Direkt hinter dem Tor steht, singt und tanzt die «Schickeria», Münchens Ultra-Gruppierung. Sie ist kaum zu hören. Denn über ihr, am äussersten Rand des zweiten Stadionranges, steht ein Trompeter um die fünzig. Er stimmt Lieder an, und alle ausser der «Schickeria» stimmen ein. Das führt zu grotesken akustischen Überlagerungen. Der Chor des Trompeters – ich habe meinen Ohren nicht getraut – singt gemütlich «Gute Freunde kann niemand trennen», Franz Beckenbauers Schlager aus den 60er Jahren, während die «Schickeria» wild hüpfend südländische Melodien intoniert. Münchens Südtribüne scheint einen aussergewöhnlichen Generationenkonflikt auszutragen: Während die Alten mit den neuen Umständen gut leben, sehnen sich die Jungen zurück zum Alten und inszenieren eine Wildheit, die in diesem Umfeld verloren wirkt.

Das Spiel wird auf den Rängen kaum verhandelt. Einige ereifern sich über Schiedsrichter Babak Rafati. Einer schreit «Schiri Du Sau! Du Türkensau! Türken raus!» Die Umstehenden, darunter ein paar Kinder, kichern oder räuspern sich. Zwischen Stehplätzen und Spielfeld verschlechtert ein dünnmaschiges Netz die Sicht aufs Geschehen. Schwierig, sich vorzustellen, was passieren muss, bis hier Gegenstände fliegen.

Ich trinke meinen Becher Paulaner leer. 3.50 € wurde mir dafür abgezogen. Nach dem Schlusspfiff hol ich mir noch eine Wurst im Semmel, 3.10 €. Dazu hätte ich gern noch ein Bier, doch dazu fehlen mir 10 Cents. Ich frage, ob ich die 10 Cents vielleicht in Geld hinlegen kann. «Geht nicht», sagt der Verkäufer, «ich habe keine Kasse». Eine Cola kostet 3.40 €, das würde reichen. Ob er vielleicht eine Cola tippen und mir ein Bier geben könnte? Leider auch nicht. Ich müsste meine Karte neu aufladen. 10 Euro minimum, wegen 10 Cents. Ich nehm eine Cola. Die Wurst, aus Uli Hoeness’ Fabrik, ist kalt.

Ruhig strömen die Leute Richtung Parkhaus und U-Bahn. Die Bahnen fahren im Minutentakt, eine halbe Stunde nach Spielschluss bin ich zurück in der Stadt. Im Hotel fragt die Rezeptionistin, ob ich einen schönen Abend hatte. «War okay, ja, ich war im Stadion.» «Im Stadion?», schaut sie mich an. Ich verstehe die Frage der Frau nicht. Sie muss doch wissen, dass heute ein Spiel war. «Ja, im Stadion, beim FC Bayern», wiederhole ich. «Ach so», lacht sie dann, «sie meinen die Arena!»