Knapp daneben: Kohäsives Fahnenmeer

Nr. 46 –

In der Unterführung eines grossen Schweizer Bahnhofs hängt ein Plakat, auf dem steht: «Bilaterale stützen. Schweiz stärken. Ja zum Osthilfegesetz». Beim Osthilfegesetz, besser bekannt als Kohäsionsmilliarde, handelt es sich kurz gesagt um jenes Geld, von dem der neogrüne Museumsdirektor C. Mörgeli glaubt, es stehe ihm selber eher zu als einer ostslowakischen Bäuerin am Existenzminimum. Aber darum geht es nicht. Es geht um das Bild auf dem Plakat. Darauf ist eine grosse Anzahl wild wehender Schweizer Fahnen zu sehen. Das von zu viel Fussball verdorbene Auge erkennt sofort: Schweiz-Türkei, WM-Barrage, Stade de Suisse, Herbst 2005. Auf dem Plakat steht auch noch: «Besser für unser Land. CVP»

Das wirft doch Fragen auf. Warum wirbt die CVP mit Fussballfans dafür, sich anderen Ländern gegenüber grosszügig zu zeigen? Sind Fussballfans Sympathieträger, stehen sie für Offenheit, für internationale Solidarität? Für Geben statt Nehmen? Marianne Binder, Kommunikationschefin der CVP, reagiert am Telefon etwas verdutzt auf all die Fragen. Sie habe, gesteht sie, mit Fussball leider gar nicht viel am Hut (ein Gütesiegel, Frau Binder, spätestens seit der letzten WM). Was das Fahnenfoto sagen wolle, weiss Marianne Binder trotzdem: «Es geht um das Bild der Schweiz. Die Fahnen stehen für Dynamik, fürs Fansein von diesem Land.» Und wo sonst, fragt sie, würden so viele Emotionen frei wie beim Fussball?

Die Kampagne setze laut Binder bewusst auf die Farben des Landes, um den patriotischen Zugang nicht ausschliesslich jenen zu überlassen, «die glauben, wir können es allein schaffen». Zum Beispiel Ulrich Schlüer, der in einem überraschend trockenen Nebensatz Binders kurz sein Fett weg kriegt. Es ist nicht ganz einfach, die Kommunikationschefin weg von der Politik und zurück zum Kern unseres Gesprächs zu bringen: zum fragwürdigen Instrumentalisieren des Fussballs und dessen AnhängerInnen für politische Ziele. «Sie sprechen von Dynamik, Frau Binder,» versuche ich den Wiedereinstieg, «doch die von Ihnen verwendeten Fähnchen wurden damals zu Zehntausenden auf den Sitzen verteilt. Die Leute wurden vom Stadionsprecher aufgefordert, sie zu schwenken.» «Sie meinen, ein Fake?», fragt Frau Binder.

Fake ist ein harter Begriff. Wobei, beim genauen Hinsehen vielleicht doch nicht ganz falsch. Die Fähnchen nämlich trugen den Aufdruck der fünf Hauptsponsoren der Schweizer Nati. Der CVP-Grafiker hat die Logos aber allesamt wegretuschiert. Ein dickes Ding, nüchtern betrachtet: Die CVP wirbt mit einem manipulierten Bild von Fussballfans für ein Ja zum Osthilfegesetz. Von der Brisanz her eine «Blick»-Schlagzeile, nur zu lang.

«Sind Sie sicher, dass da Logos drauf waren?», fragt Marianne Binder zum Schluss. «Ja, denn oben rechts, da hat Ihr Grafiker welche vergessen. Man sieht noch die blauen Kästchen vom Sporttip», antworte ich. «Stimmt, ja. Bei mir am Computer sehen die aber grün aus.» «Das wäre dann Carlsberg. Aber es ist blau, ganz sicher. Es ist der Sporttip.»