Knapp daneben: Die Runde spricht zum Eckigen

Nr. 48 –

Vergangenen Dienstag war in einer grossen Zürcher Buchhandlung Vernissage von «Die Nati. Die Geschichte der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft». Zur Lancierung des eben erschienenen Buches fand ein Podiumsgespräch statt: René Botteron, Nationalspieler in den siebziger und achtziger, Georges Bregy, Nationalspieler in den achtziger und neunziger, Paul Wolfisberg, Nati-Trainer in den achtziger und Gilbert Gress, Nati-Trainer in den neunziger Jahren bildeten die Runde. Es wurde ein heiterer Abend. Vor allem dank Gilbert Gress.

Der Elsässer, der Schweizer ist, war gekommen, die Leute zu unterhalten. Der Mann hat einen in der Szene dünn gesäten Witz, und es ist allen Berufsfussballern zu wünschen, dass er nie mehr an einer Seitenlinie steht, dafür umso öfter in Talkrunden sitzt. Vom Freundschaftsspiel Schweiz-Brasilien, so Gress, sei er sechzig Minuten lang enttäuscht gewesen: «Keine Ideen, kein Risiko ging von den Schweizern aus. Da muss man doch mal in die gegnerische Verteidigung reingehen, Freistösse rausholen, damit der Georges mal einen reinmacht.» Dann der Blick nach rechts, «oder hast du gegen Brasilien nicht gespielt, Georges?»

Georges schmunzelt. Und erzählt von USA ’94. Ob das stimme, dass der Roy Hodgson so ein gnadenloser Schleifer gewesen sein. «Nein, ich finde nicht. Aber einige im Team haben damals einfach nicht begriffen, dass wir an einer WM sind.» Und dann bringt Georges den mit dem Frühstück: «Am Abend assen die Frauen bei uns im Hotel. Als nach dem Essen die Pflege anstand, wollte Hodgson, dass die Frauen gehen. Es gab ein Riesentheater. Ich fand: Es ist WM, jetzt müssen die Frauen halt gehen, was solls. Die andern sahen das anders. Also blieben die Frauen. Am nächsten Morgen wollten sie mit uns frühstücken, doch es hatte nur Platz für das Team. Die Frauen mussten in die Bar zum Frühstück, und schon gabs wieder Terror. Am Ende mussten sie es dann noch selber bezahlen.» Bregy findet, man hätte für Deutschland 2006 viele Lehren ziehen können aus USA ’94 und Portugal 2004. Das sei eventuell nicht vollumfänglich geschehen. Später, beim Gläschen, erzählt er noch von denen, die 1994 vier Stunden in der Detroiter Mittagssonne gelegen und sich die Köpfe verbrannt hätten, «nur weil sie wussten, dass sie am nächsten Tag sowieso nicht spielen». Hodgson verbot darauf allen die Sonne. Bregy regt sich noch heute auf.

Botteron und «der Wolf» redeten etwas weniger, und es war nicht klar, ob sie sich an gewisse Momente nicht mehr erinnern konnten oder nicht mehr erinnern wollten. Ihre Analysen waren dafür angenehm sachlich. Botteron: «Man muss auch sehen, dass die Schweiz an dieser WM sehr viel Glück hatte. Gegen Togo hätten dem Gegner beim Stand von null zu null zwei Elfmeter zugesprochen werden müssen. Die Anzahl Punkte war gut an dieser WM, das fussballerische Niveau weniger.» Und der Wolf zu den Gründen für die stets verpasste Qualifikation: «Es gab damals nur ein Russland, nur ein Jugoslawien. Sowas wie Lettland gab es damals noch nicht. Und es kam nur einer pro Gruppe weiter.» Das stimmt, aber einer wie der Wolf muss sich nicht rechtfertigen. Er ist der einzige Natitrainer, der mittels Unterschriftensammlung von der Bevölkerung zum Rücktritt vom Rücktritt bewegt werden konnte.

Das steht in «Die Nati», und vieles mehr. Aufgrund einer gewissen Befangenheit kann ich mich nicht wertend zum Buch äussern. Ich kann es jedoch vorbehaltlos empfehlen, denn es ist das wohl beste je erschienene Schweizer Fussballbuch, eine umfassende historische Aufarbeitung und eine mit zahlreichen unbekannten Details ausgeschmückte kritische Würdigung der populärsten Sportmannschaft des Landes.

Die letzte Frage in die Runde war: Wer wird Nachfolger von Köbi Kuhn? Botteron: «Ich weiss es nicht.» Wolfisberg: «Keine Ahnung. Es gibt viele Anwärter.» Gress: «Georges und ich, wir sind zu haben.»