Das schlimme Interview ist dem Fussballsport eigen. Menschen, die lieber nicht fragen würden, aber fragen müssen, stellen Menschen, die lieber nicht antworten würden, aber antworten müssen, schlimme Fragen. Der britische «Guardian» setzt dieser eingespielten Form von Anti-Gespräch ein Interviewmodell entgegen, das – indem es vorgibt, völlig belanglos zu sein – alles zulässt und dabei immer überrascht. «Small Talk» heisst die Serie, und die stillen Nächte zu Jahresende boten endlich wieder Gelegenheit, sie nachzulesen.
Da war die Reihe an Kelly Dalglish. Kelly, nicht Kenny, wie ich auch erst bei der zweiten Frage merkte. Kelly ist Kennys Tochter, und Kenny Dalglish war ein grosser schottischer Fussballer, am grössten in den Diensten des FC Liverpool. Diese zweite, klärende Frage lautete: Ist es fair, seine Tochter Kelly zu taufen, wenn man selbst Kenny heisst? Kelly Dalglish, TV-Moderatorin von Sportnachrichten, hat nicht nur darauf eine kecke Antwort. Sie erzählt, wie sehr sie sich für ihren Vater geschämt hat, als der sie nach einem Klassenausflug an der Bushaltestelle erwartete und bei ihrer Ankunft vor allen andern Eltern stehend wild winkend begrüsste, «als kehrte ich von einem Trekking am Nordpol zurück.» Ungute Erinnerungen hat Kelly auch an den Moment, als sie ihren ersten Freund nach Hause brachte. Auf dessen Bemerkung, er möge Basketball, fragte ihn Vater Kenny: «Sind Sie Mormone?» Das ist alles nicht besonders weltbewegend, und der Witz, den Kelly am Ende erzählt, nicht sehr lustig. Doch der Umstand, dass hier mit etwas Geplauder eine Ikone der fussballerischen Eleganz plötzlich in einem sagenhaft uncoolen Licht erscheint, gibt dem «Small Talk» den Sinn, den er sich so geschickt abspricht.
Recht unterhaltsam auch einige Episoden aus dem Gespräch mit Graeme Le Saux, einem ehemaligen Nationalspieler von Chelsea, der für seine angebliche Homosexualität in den Stadien einiges hat einstecken müssen und kürzlich eine entsprechend viel diskutierte Autobiografie veröffentlicht hat. Le Saux erzählt, wie die ersten «Homo-Vorwürfe» laut wurden, nachdem er mit Teamkollege Ken Monkou einen wöchentlichen Trainingskurs in Amsterdam besucht hatte. «Dummerweise habe ich auf die Witze dann etwas stärker reagiert als nötig», sagt Le Saux. Bevor er «Small Talk» erklären muss, ob er Scarlett Johansson oder Paris Hilton wählen würde, erinnert sich Le Saux an Gianfranco Zola, den besten Fussballer, mit dem er je zusammengespielt habe: «Er war einer der ganz wenigen, dem beide Lager applaudierten. Er weckte in den Fans eine Art Ritterlichkeit.» Und dann erinnert sich Le Saux an Zolas Range Rover und daran, dass der kleine Sarde immer ein Kissen auf dem Autositz hatte, um überhaupt über das Armaturenbrett zu sehen.
Thomas Hitzlsperger, deutscher Nationalspieler beim VfB Stuttgart und davor lange bei Aston Villa unter Vertrag, beweist dann, dass es keinen angeborenen britischen Humor braucht, damit Small Talk funktioniert. Der Frage, wer den Kampf Löwe gegen Tiger gewinne, folgt die Anschlussfrage «und Ludovic Magnin gegen einen Tiger?» Darauf Hitzlsperger: «Magnin, ohne Zweifel. Er würde den Tiger zutexten, bis er klein beigibt.» Hitzlsperger – und das ist ein weiterer Vorzug an Small Talk, dass er nämlich Türen öffnet – bloggt seit einiger Zeit auf dem «Störungsmelder», einer Plattform gegen Nazis, und schreibt dort über Rassismus im Fussball.
Ein gutes Interview gab es vor einigen Monaten auch mit Ivan Ergic, und dass es in der WOZ erschien, ist eine glückliche Fügung. Es ging um Fussball, aber anders. Ergic sagte etwa: «Ich sehe meine Zukunft nicht im Fussball. Es ist nicht das, was ich mir als Kind vorgestellt hatte.» Seit diesen Sätzen ist der denkende Ergic gefragt. Er wurde im «Tages-Anzeiger» porträtiert, im österreichischen «ballesterer» und im Schweizer «Zwölf» interviewt, und zum Jahresende zog er in der «SonntagsZeitung» in erstaunlicher Deutlichkeit gegen die Euro 08 ins Feld, der er vorwirft, Emotionen und Triebe zu provozieren, «die einen Menschen degradieren können». Das Interesse an Ergic und daran, was er zu sagen hat, zeigt ein Bedürfnis nach neuen Inhalten und reflektiertem Fussball. Vielleicht führt das dazu, dass irgendwann nicht mehr gefragt wird «Wie wichtig ist das nächste Spiel?», sondern: «Coop oder Migros?»
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