Knapp daneben: Rayon vs. Raison

Nr. 37 –

Ende August wurden in Zürich die ersten 29 Rayonverbote gegen Fussballfans ausgesprochen. Seit vergangenem Freitag sind es noch 28. Einem Anhänger des FC Zürich, der mit Hilfe seiner Anwältin gegen die Massnahme Beschwerde eingereicht hatte, wurde Recht gegeben. Der junge Mann darf sich in der Stadt Zürich fortan wieder frei bewegen und erhält eine Prozessentschädigung von 1500 Franken. Mit dem Urteil kann er dennoch nicht zufrieden sein.

Grundlage des Rayonverbots war eine Strafanzeige wegen Sachbeschädigung anlässlich der Meisterfeier des FCZ am 24. Mai 2007. Dem Fan wurde vorgeworfen, ein Kamerateam von «Schweiz aktuell» angegangen und dabei am Equipment einen Schaden von einigen Hundert Franken verursacht zu haben, was der Angeschuldigte stets bestritten hat. Ohne Urteilsspruch sprach darauf die Stapo Zürich ein einjähriges Rayonverbot aus, gültig bis 21. August 2008 (also bis nach EM-Ende) «im Umfeld von Sportveranstaltungen, während des Zeitraums von sechs Stunden vor bis sechs Stunden nach der Veranstaltung». Das sind inklusive Spiel rund 14 Stunden, und dies an über 60 Tagen, rechnet man allein mit den Heimspielen von FCZ, GC und ZSC. «Sportveranstaltung» ist aber ein weiter Begriff und umfasst auch Anlässe wie den Zürich-Marathon und sämtliche Breitensportspiele. Die zu den Rayonverboten mitgelieferten Ausführungen ermächtigen die Stapo Zürich theoretisch, die Stadt – die sechs Rayons betreffen die Gebiete Letzigrund, Hardturm, Hallenstadion, Bahnhof Altstetten, Hauptbahnhof und Seebecken – für Betroffene während 365 Tagen zu sperren, denn irgendwo wird immer Sport veranstaltet.

Der Haftrichter am Zürcher Bezirksgericht ging auf die vom Rechtsdienst der Stadtpolizei Zürich fahrlässig formulierte Verfügung jedoch nicht ein, sondern stützte sich lediglich auf die Tatsache, dass das Strafverfahren gegen den FCZ-Fan in der Zwischenzeit eingestellt worden war. Und fügte an: Wäre der Fan an besagter Rangelei weit ab des Stadions tatsächlich in irgendeiner Art beteiligt gewesen, hätte er das Rayonverbot in diesem Ausmass als durchaus berechtigt erachtet.

Verhängung und Aufhebung dieses Rayonverbots führen erstmals an einem konkreten Fall vor Augen, wo es beim Hooligangesetz hapert: an allen Ecken und Enden. Hier wird mit Gummibegriffen um sich geknüppelt, dass jegliche rechtliche Sicherheit auf der Strecke bleibt: Was heisst «im Umfeld von Sportveranstaltungen»? Ist hier die Kneipe neben dem Stadion gemeint, der Weg vom Stadion in die Innenstadt (wie im vorliegenden Fall), die Disco, die einer weit nach Spielschluss mit ein paar Freunden aus der Kurve betritt? Befinde ich mich auch im Umfeld einer Sportveranstaltung, wenn ich an der Strecke des «Inline-Contests» an einer Stehbar eine Wurst esse? Was ist eine «Beteiligung an gewalttätigem Verhalten», die für eine Massnahme gemäss BWIS ausreicht? Gelte ich als beteiligt, wenn meine Freundin jemanden schlägt? Herrscht Sippenhaftung, wenn jemand aus meiner Fangruppierung ausfällig wird? Und ist Gaffen auch eine Form der Beteiligung?

Rayonverbote können maximal für ein Jahr ausgesprochen werden. Bisher ist in Zürich kein Fall bekannt, wo dieses Maximum nicht ausgeschöpft worden wäre. Müsste hier aber nicht die Schwere des Vergehens massgebend sein für die Dauer des Verbots? Oder wiegt im Zusammenhang mit Fussballspielen einfach alles gleich schwer, nämlich schwerstmöglich? Und wie steht es in Zürich um das rechtliche Gehör? Muss tatsächlich jeder mit Rayonverbot den mit hohen Anwaltskosten verbundenen Weg der Beschwerde gehen, um seine Sicht der Dinge darlegen zu können? Ist es schlichtweg normal, dass Rayonverbote, welche die persönliche Bewegungsfreiheit massiv einschränken, allein aufgrund laufender Verfahren ausgesprochen werden können? Und ist von einem Rechtsdienst der Polizei nicht zu erwarten, dass sie abklärt und festhält, was mit einem geschieht, der innerhalb eines Rayons wohnt oder arbeitet?

Was hier läuft, geht über den Fussball hinaus. Und soll 2010 verfassungstauglich werden.