Im rot-weissen Regionalzug von Luzern nach Engelberg sitzen ein Abteil weiter zwei junge Frauen. Als wir Luzern hinter uns lassen und linkerhand die Flutlichtmasten der Allmend auftauchen, fragt die eine: «Weisst du noch, am Samstag, die Tussis mit den Einzelbilletten? So peinlich, hey!» «Ja», lacht fies die andere, «kommen voll nicht draus, wies läuft. Haben mega Stress gekriegt, als sie dem Securitas ihre Handtaschen zeigen mussten. Und wir mit dem Saisonabo, tralala, einfach durch, wie immer. Einzelbillette, so peinlich, hey.» Dann verschwindet die Allmend aus dem Blickfeld, und als wir wenig später die Horwer Bucht erreicht haben, bin ich versunken in Erinnerungen an die Jahre mit dem FCL.
Keiner von uns Buben war eigentlich wirklich FCL-Fan. Zu jener Zeit Anfang achtziger Jahre schwärmte man für Basel oder GC oder die eleganten Welschen, Lausanne, Servette, Xamax. Aber die Allmend war von Stans aus gut mit dem Velo zu machen. Wir stellten uns meistens in die Horwer Kurve, wo die Neutralen, Alten und Gelangweilten standen. Auf die Gegentribüne, zu den richtigen FCL-Fans, trauten wir uns nicht, obwohl die Nidwaldner dort recht zahlreich vertreten waren. Es gab den «Peter Risi Fanclub Ennetbürgen» mit seinem überdimensionierten Doppelhalter, der an keinem Spiel fehlte. Es gab den cholerischen Schnauzträger Armin, zu dessen Palmarès gehörte, eigenhändig einen Bierstand umgeschmissen zu haben, samt Zelt. Und es gab diesen baumlangen, spindeldürren Kettenraucher, der immer allein unterwegs war und auf dem Weg ins Stadion jeweils das ganze Spiel vorwegnehmend kommentierte: «Von links Hanspeter Burri, Hanspeter Burri, Risi kommt, Peter Risi, Toooor für den FCL!» Wenn es dann wirklich passierte, Burri auf Risi oder sonstwie, dauerte es jeweils nur wenige Sekunden, bis der Lange von der Gegentribüne her kommend unsere Horwer Kurve passierte, rauchend, seinen Schal schwenkend und selbstvergessen hüpfend.
Der FCL hatte abenteuerliche Teams zusammen zu jener Zeit. Hitzfeld, Risi, Fringer, Tanner und James Meyer spielten gemeinsam unter Coach Wolfisberg, und im Tor stand der Panther aus Hergiswil, Gody Waser. Im UI-Cup, der damals noch Intertoto-Cup hiess, wichen die A-Klubs damals meist auf Provinzplätze aus, und so kam es, dass dem FC Stans das Spiel gegen Bröndby anvertraut wurde. Wir D-Junioren durften Ballbuben sein, und das hiess damals noch etwas, denn es gab noch nicht 24 Bälle rund ums Feld, sondern nur einen, den Matchball, und wenn der rausflog, mussten wir rennen. An eine Szene dieses Spiels erinnere ich mich sehr genau: Libero Markus «Mäc» Tanner spielte den Ball in Bedrängnis seinem ebenfalls bedrängten Hüter Waser zurück, und es wäre fast ins Auge gegangen. «Schpinnsch eigentlich! Ich ha grüeft ‹wägg!›», schrie Waser. «Aber I ha verschtande ‹Mäc! ›», schrie Tanner zurück.
Der Vierwaldstättersee – oder das, was Zugreisende noch von ihm sehen, wenn sie nicht gerade an eine der neuen Tunnelwände starren – zieht an uns vorbei. Ich höre in der inneren Ferne die Melodie der Gashupen, die jedem FCL-Treffer folgte. Sie bestand aus fünf Tönen, die auf sechzehn Stösse verteilt waren. Fast jeder Verein hatte damals seine eigene Gashupengang, die das klobige Instrument vor Anpfiff auf einem selbst gebastelten Vehikel auf die Stehplätze rollte. Mit der Zeit konnten wir die Melodien blind den Vereinen zuordnen. Wenn der Eishockeyaner Peter Sullivan für den SC Langnau ein Tor schoss, war im Sportpanorama deutlich das «Love Theme» aus dem «Godfather»-Soundtrack zu hören. Dass das der «Godfather»-Soundtrack war, wusste ich damals natürlich noch nicht. Als mir Jahre später aber das Original zu Ohren kam, wunderte ich mich doch sehr über den eigenwilligen Musikgeschmack jenes unbekannten Emmentaler Gashupenfreundes.
Der Zug hält in Stans, die Frauen steigen aus. An der Allmend hat sich nicht viel verändert in all den Jahren. Es brauche moderne Arenen mit schönen Toiletten und netten Boutiquen, damit die Damen zum Fussball kommen, sagen die Männer, die im Fussball das Sagen haben, und sie meinen damit auch die Allmend. Doch noch weht dort ein anderer Wind, und er bläst den Einzelbilletttussis steif ins Gesicht.
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