Nachspielzeit am Fusse des Waadtländer Juras, ein heisser Sonntagnachmittag im August. Es steht zwei zu eins für die Gäste, als sich die Nummer 21 den Ball zum Elfmeter zurechtlegt. Auf seinem Rücken, über seiner Nummer, steht «Saucisson vaudois». Es ist kein einfaches Los für ein Fussballteam, wenn die «Charcuterie vaudoise» als Hauptsponsor auftritt und die Spieler deshalb, bevor auch nur eine Minute gespielt ist, als Würste einlaufen. Der FC Baulmes trägt dieses Los mit Fassung und Würde.
Hart ist ein milder Ausdruck für das, was dem Verein aus dem 940-Seelen-Dorf am letzten Spieltag der Saison 2006/2007 widerfahren ist. Schon so gut wie gerettet, kassiert der FC Baulmes – in der Nachspielzeit – gegen den FC Locarno noch den Ausgleich. Gäbe es ein Wort, das dem Begriff «nichts» noch eine zusätzliche Dimension der Leere, der Absenz, der totalen Sinn- und Zwecklosigkeit verleihen könnte, man würde es gerne verwenden, um zu beschreiben, worum es für den FC Locarno in diesem Spiel noch ging. Es ging dem FC Locarno, wie eigentlich immer zu Saisonende, um nichts mehr. Für den FC Baulmes aber bedeutete das vielleicht unnötigste Tor in der Geschichte des Waadtländer Fussballs das Ende einer dreijährigen Herrlichkeit in der zweithöchsten Spielklasse, einer Herrlichkeit, die aus Derbys gegen Yverdon, Lausanne, Xamax, Servette und Delémont und einem Zuschauerschnitt von knapp tausend bestand.
Seit diesem heissen Sonntag spielt Baulmes wieder 1. Liga, und als ersten Gast heisst man den Matador des Oberwallis, den FC Naters, willkommen. Mitte der 90er Jahre ebenfalls kurz in der damaligen Nati B zu Gast, wird der Klub in Baulmes immerhin noch von einem guten Dutzend Treuer angefeuert. Vier von ihnen stehen schwitzend im Schatten unter der Haupttribüne und genehmigen sich das eine oder andere Plastikbecherchen (am Vorabend waren sie im Tourbillon bei Sion-Xamax; es gilt, den Rhythmus zu halten). Kein Zweifel, hier trotzt ein Quartett Walliser Fussballwissens der erbarmungslosen Augusthitze. Jede Frage wird präzise und mit erstaunlichen Zusatzinformationen beantwortet, von denen mir vor allem jene haften bleibt, wonach Klubs wie der FC Naters ganz glücklich sind mit der katastrophalen Nachwuchspolitik des Christian Constantin, bewirkt sie doch, dass Sions zweite Garde die Rhone rauf und runter fährt in der Hoffnung auf Spielpraxis. So tritt der FCN auch gegen Baulmes mit vier U-21-Leuten des FCS an.
Der Verpflegungsstand in Baulmes nigelnagelneuem Stadion, gemütlich getäfert, verströmt einen betörenden Duft. Auch für einen Wurstverkäufer ist es kein einfaches Los, wenn die «Charcuterie vaudoise» als Hauptsponsor auftritt, doch werden die Grilladen den hohen Erwartungen gerecht. Zum «Schüblig» gibt es neben Brot und Senf ebenfalls Zusatzinformationen, dank denen der FC Baulmes für den unwissenden Gast fassbarer wird. Sicher, sagt der Herr der Würste, der Abstieg werde lange nachwirken. Erfreulicherweise sei aber keiner der Sponsoren abgesprungen, weshalb zumindest auf Budgetebene eine gewisse Kontinuität garantiert sei. Aber wie kommt es überhaupt, dass es ein Verein aus einem Dorf wie Baulmes, in unmittelbarer Konkurrenz zum NLA-erfahrenen Yverdon-Sports, so weit bringt? «Wissen Sie», erklärt der Mann, «zu uns kommt die ganze Region. Der Klub ist gut geführt, und die Leute mögen das Kleine.»
Als sich eine Stunde nach dem Spiel die Züge der Yverdon-Ste-Croix-Bahn in Baulmes kreuzen, hallen die Worte des Wurstverkäufers nach; die Hälfte der Wartenden fährt hoch ins alte Uhrmacherdorf, die Hälfte an den See nach Yverdon. Wurst Nummer 21 hat seinen Elfmeter versenkt. Migros, Sunrise, Kronenbourg, Fidacor, Boissons de Siebenthal, Stegmüller Chauffage, Strok Vuiteboeuf, Pizzeria Don Camillo, La Région, Raiffeisen, Vaudoise Aussurance steht auf den Werbebanden rund ums Tor, aus dem der Naters-Goalie so kurz vor Schluss noch den Ball holen muss. Wurst Nummer 21, mit bürgerlichem Namen Sacha Margairaz, lässt sich feiern. Sein Bruder, Nationalspieler Xavier, wird bald zum ersten Mal für Osasuna auflaufen, in Spaniens Primera División. Auf seinem Trikot wird er nicht für baskische Wurstwaren werben. Ob man ihn deshalb in Pamplona ernster nimmt als Sacha in Baulmes?
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