Knapp daneben: Krafttraining am Tag der Arbeit

Nr. 18 –

In einer neuen Zürcher Zeitung war ein Kommentar zu lesen, der auf verblüffende Weise den bevorstehenden Tag der Arbeit in Relation zur ebenfalls bevorstehenden Europameisterschaft setzt. «Haut sie weg», lautet die Kernaussage des Textes, oder genauer: «Haut ihr sie jetzt nicht weg, werdet ihr im Juni weggehauen.» Adressatin der eindringlichen Botschaft ist die Zürcher Polizei, der nahegelegt wird, am 1. Mai «mit allen Wasserwerfern» am Start zu sein, auch bei schlechtem Wetter, und «den Pöbel» in einer Weise von der Strasse zu spritzen, dass ganz Europa am Ende des Tages aufatmen kann im Wissen, dass die Zürcher Ordnungskräfte gerüstet sind für die grosse Schlacht.

«Nicht zuletzt die Uefa wird mit ihren Funktionären genau beobachten, was sich in Zürich am Tag der Arbeit zuträgt», steht geschrieben. Das ist interessant zu erfahren, weil es eine gewisse Neugier weckt bezüglich des Standortes, den sich die Uefa für ihre Beobachtungen aussucht. Sind rund um den Helvetiaplatz kurzfristig Logen eingerichtet worden, vielleicht auf dem Volkshaus-Balkon oder zuoberst im alten Amtshaus? Oder gibt es gar eine UBS-Mayday-Arena? Fährt Michel Platini vielleicht in einem gepanzerten Carlsberg-Kastenwagen durch den Kreis 4 und Turnierdirektor Kallen in einem McDonald's-Wasserwerfer?

Apropos McDonald's: Dieselbe neue Zeitung hatte wenige Tage zuvor auf wirklich berührende Weise geschildert, wie kleine Mädchen und Buben dank der Schnellimbisskette an der EM Spieler auf den Platz begleiten dürfen. Im Bild: Eine glückliche Schar Kinder in gelb-roten Dresses, beschützt von Ronald McDonald, dem lieben Clown.

McDonald's ist eines jener Ladenlokale, die die Zürcher Polizei vor den «politisch fehlgeleiteten Jugendlichen mit Mitläufern im Schlepptau» schützen soll. Um die Uefa nicht zu erzürnen, wird man sich ferner auf Filialen und Objekte der anderen EM-Hauptsponsoren konzentrieren, etwa auf Autos mit Continental-Reifen. Sie gilt es gegen Angriffe von «Radaumachern» zu verteidigen. Ebenfalls Objektschutz, wenn auch in personell geringerem Ausmass, werden die nationalen Partner der Uefa erfahren. So ist geplant, in jeder Swisscom-Telefonzelle in den Stadtkreisen 1, 3, 4 und 5 einen Stadtpolizisten zu platzieren, der gegebenenfalls mit einer freundlicherweise zur Verfügung gestellten Mastercard telefonisch Verstärkung anfordern kann. Polizisten, die in einer Notlage trotz anderslautender Anweisung mit Visa telefonieren, werden sich selbst überlassen. Zudem wird die Uefa bei der zuständigen Polizeidirektion Rayonverbote gegen die Fehlbaren fordern, gültig für sämtliche Polizeikasernen acht Stunden vor bis acht Stunden nach einer Demonstration. Die dafür nötige gesetzliche Grundlage gibt es gratis beim Kauf eines Big-Mac-Menüs.

Der Kommentar in der neuen Zeitung spricht zudem einen sehr heiklen Punkt an: den geplanten Einsatz einer Hundertschaft deutscher Beamter während der EM in Zürich. Wie zu einem früheren Zeitpunkt zu erfahren war, werden die Kameraden im Rahmen der 3-D-Strategie (Dialog, Deeskalation, Durchgreifen) vor allem beim Durchgreifen eingesetzt; im Gegensatz zu ihren Schweizer Kollegen sind sie nahkampferprobt und haben Übung darin, einzelne «Chaoten» aus einem Mob zu entfernen. Offiziell wurde das klar abgesteckte Betätigungsfeld aber anders begründet: Der Deutsche wisse eben noch nicht recht mit Wasserwerfer und Gummischrot umzugehen. Blind, wer hier nicht zwischen den Zeilen liest, und so schreibt die neue Zeitung denn auch: «Es wäre gut, wenn nach dem 1. Mai die Hoffnungen nicht allein in diese 'Söldnertruppe' gesetzt werden müssten.»

In der Tat eine Schreckensvision: Deutsche Eliteprügler befrieden knüppelnd Zürichs Fanzone, während ihre Nationalelf auf der Grossleinwand um den Titel spielt (gegen Österreich). Die Auns könnte sich auf der Stelle auflösen. Und das nur, weil am 1. Mai lausig trainiert wurde. So weit darf es nicht kommen. Deshalb: Weghauen, alle, alles.