Axel, der Pudel, versucht zu bellen, die Johannes-Paul-der-Zweite-Uhr in der Réception zeigt neun. In den Morgennachrichten hält eine Romafamilie aus Banska Bystrica die dicken Steinklumpen in die Kamera, mit denen Unbekannte in der Nacht zuvor ihre Siedlung angegriffen haben. Von der Pension Oaza zum Stadion von Spartak Trnava sind es zwanzig Gehminuten. Die Jeruzalemska hoch, an einer der elf Kirchen der Stadt vorbei. Sie nennen Trnava «das kleine Rom».
Das Anton-Malatinsky-Stadion, benannt nach dem letzten Meistertrainer, liegt mitten in der Stadt. Direkt hinter dem bröckelnden Gästesektor stehen drei kleine Wohnhäuser, ein Apfelbaum legt seinen Ast über die Stadionmauer. Punkt halb zehn traben die Spartak-Spieler aus den Katakomben auf den Trainingsplatz hinter der Haupttribüne, der auf einer Kopfseite von der alten Stadtmauer begrenzt wird. Eine Handvoll Männer schaut den Sportlern bei der Arbeit zu, darunter ein jüngerer Anfang zwanzig: «Wo Spartak gerade steht? Keine Ahnung, Vierter vielleicht oder Fünfter. Ist nicht so wichtig. Die Fans, die Ultras, interessieren mich mehr. Wir hier in Trnava sind die Nummer eins, wir sind die Fussballstadt. Nicht nur der Slowakei, von ganz Mitteleuropa. Unsere Ultras sind die besten. Politisch sind wir nicht. Im Kern gibt es ein paar Radikale, aber die hast du überall. Wir zünden Fackeln, es ist verboten, aber es sieht gut aus und ist ein Protest gegen den Verband. Die haben dort keine Ahnung. Unsere Hooligans hatten lange eine Freundschaft mit denen von Brno und Katowice. Aber jetzt stecken wir die ganze Energie in die Ultra-Sache in Trnava. Am Samstag spielen wir in Kosice. Die hassen wir seit zehn Jahren. Damals, am letzten Spieltag, waren wir punktgleich. Kosice spielte zu Hause gegen seinen Stadtrivalen Lokomotiva. Die liessen sie gewinnen. Kosice kam in die Champions League. Deshalb wird es am Samstag Probleme geben. Dann kommt Nitra zu uns. Nitra hat neben uns die besten Hooligans, ein grosses Derby. 10000 Zuschauer wird das schon geben. Nur gegen Slovan Bratislava kommen noch mehr Leute. Das sind unsere ärgsten Feinde.»
Im Drei-gegen-zwei offenbaren die Spartak-Angreifer eine beispiellose Abschlussschwäche. Die beiden Torhüter lachen, der Trainer verwirft die Hände. Zum Schluss muss jeder Spieler aus sechzehn Metern die Latte treffen. Der Jüngste braucht am längsten. Die andern liegen im Gras und machen sich über ihn lustig. Dann gehen sie duschen. Auf den Spielerparkplätzen warten keine Geländewagen, dafür VW Golf, Fiat und Skoda. Hauptsponsor der Liga ist ein Bier, die Bälle kommen von Nike.
Der Fan der Ultras Spartak verabschiedet sich. «Vierter», sagt er noch, «ich galube, wir sind Vierter.» Der Selbstzweck der Kurven, ihr vom Spiel zunehmend losgelöstes Dasein, ist auch in der Schweiz ein Thema. Muss, wer ins Stadion kommt, zwingend am Spiel interessiert sein? Wie ist es zu erklären, dass der Durchblick in Fan- und Hoolfragen zunehmend sportliches Basiswissen ersetzt? Ist diese Entwicklung Ursache oder Folge, und wovon? Ist sie bedenklich? Und wie sähe es heute in den Stadien aus, kämen noch immer nur jene, die nur des Fussballs wegen kommen?
Während des Trainings, das wir gemeinsam verfolgten, hat der westslowakische Fan-Fan viel erzählt und jede meiner Fragen zuvorkommend beantwortet. Selber hatte er keine Fragen. Überhaupt ist in Trnava gut aufgehoben, wer ungern etwas von sich preisgibt. Ob Buschauffeur, Bäckerin, Auskunftsperson, Wirt, Schaffner, Bauer, Lehrerin, Sitznachbar, Kellnerin oder Antiquar: Rückfragen gibt es keine. Karl-Markus Gauss schreibt in «Die Hundeesser von Svinia», dass ihn alle SlowakInnen, die er getroffen hat, vor den Roma gewarnt hätten. Dass aber niemand von einer persönlichen Begegnung, einem Erlebnis hätte berichten können.
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