Knapp daneben: Missmut, verständlich

Nr. 34 –

«Wir haben euch gerettet. Der Krieg in Jugoslawien ist vorbei. Es ist Zeit, Danke zu sagen und zu gehen.» Solche Briefe erhält Luka Rakitic, wohnhaft in Möhlin AG, der Jugoslawien verlassen hat, als es Jugoslawien noch gab, lange vor dem Krieg. Luka Rakitic hat einen Wunsch: Er möchte den Schweizer Pass. Doch «der wird abgelehnt», heisst es auf den Strassen von Möhlin. Das hat die «Basler Zeitung» (BaZ) herausgefunden. Und sie ist voller Mitgefühl: «Der Missmut der Möhlemer wird verständlich, wenn man betrachtet, dass der junge Rakitic im Dorf seine Ausbildung durchlaufen hat», schreibt die Journalistin.

Der junge Rakitic, es ist bekannt, hat sich als Doppelbürger dafür entschieden, für die kroatische Nationalmannschaft zu spielen. Man hatte ihm bei der Einbürgerungsfeier in Möhlin vergessen mitzuteilen, dass nach Fricktaler Recht der Schweizer Pass dazu verpflichtet, sein Doppelbürgertum zu verleugnen. Jetzt ist der junge Rakitic weg, auf Arbeit im Ruhrgebiet, doch geblieben ist seine Sippe, und die wird nun in Haft genommen, dass es kracht. Auch von der «Basler Zeitung».

Der Missmut auf einen Vater, dessen mündiger Schweizer Sohn eine freie und aus sportlicher Sicht hochgradig vernünftige Entscheidung getroffen hat (Kroatien hat sich seit der Staatsgründung ausser für die EM 2000 für alle Europa- und Weltmeisterschaften qualifiziert), ist für die «Basler Zeitung» verständlich, weil der Sohn im Dorf die Lehre gemacht hat. Mit anderen BaZ-Worten: Vor dem Hintergrund, dass Sohn Rakitic nicht für die Schweiz Fussball spielt, wird die Tatsache, dass er in der Schweiz eine Lehre absolviert hat, zu einer solch bodenlosen Frechheit, dass eine Retourkutsche in Form einer verweigerten Einbürgerung des Vaters geradezu auf der Hand liegt.

Es wird einem leicht anders bei alledem. Die BaZ hat für ihren stimmungsvollen Report in Möhlin sogar einen SP-Mann aufgetrieben, der über den jungen Rakitic den Kopf schüttelt und von «Öl ins Feuer» redet. Ich rief den Mann an, damit er erklärt, er denke in Wahrheit ganz anders, doch er sei in den Ferien, sagte eine Frauenstimme. Vielleicht ruft er irgendwann zurück. Vielleicht liegen wir bis dann aber auch in den Schützengräben, im heiligen Krieg gegen die Undankbaren.

«Wir haben euch gerettet.» Wir. Euch. Wir, das sind wir Schweizerinnen und Schweizer, ganz Liebe, Flotte, allesamt. Jeder und jede von uns ist damals Anfang Neunziger an die Grenze gefahren, die Arme ausgebreitet, im Rucksack heissen Tee und Wolldecken, bereit und willig, alles Elend aufzunehmen, das da kommen mag. Wir. Was haben wir uns nicht alle die Hände schwielig gekrüppelt in der Flüchtlingshilfe. Und dann dieser verdammte Undank. Dieser Hochverrat von diesem wasserstoffblonden Sauhund. «Komm mir nicht mit diesem Verräter», das sagte auch der Barkeeper in der kleinen Luzerner Kneipe, als bei der Bundesliga-Konferenzschaltung der kleine Rakitic ins Bild rückte. «Huere Verröter», nickte der Gast am Tresen. Man ist sich einig, an Reuss und Rhein.

Mit Blaise Nkufo kehrt ein Mann in die Nati zurück, der auf Fragen mit afrikanischen Sprichwörtern antwortet und der es verstanden hat, sich mit Köbi Kuhn zu versöhnen, ohne sein Gesicht zu verlieren. Zu Rakitic sagt Nkufo in der «SonntagsZeitung»: «Doppelbürger müssen auf ihr Herz hören.» Dem Verband, der Nkufo für das Länderspiel gegen Holland aufgeboten hat, dürfte solches nicht gefallen. Dieser Verband, der seit Jahren an vorderster Front von der Migration profitiert, will junge Auswahlspieler mit Doppelpass schon im Knabenalter dazu bringen, sich der zweiten Haut zu entledigen; bislang mittels Unterschrift unter einen Ehrenkodex, am liebsten aber über eine Ausbildungsentschädigung. Eltern, deren Kinder sich am Ende doch noch umentscheiden, sollen zahlen. Luka Rakitic, der so gerne Schweizer wäre, würde sicher sofort zahlen. Doch für ihn hat man sich etwas Besseres ausgedacht.