In Griechenland starb ein Fan von Panathinaikos Athen bei Ausschreitungen am Rande eines Frauen-Volleyballspiels. Es stand so in der Zeitung. Die Meldung erinnerte mich an eine Begegnung im Ruhrgebiet vor drei Jahren. Wir waren über Ostern hingefahren, um zwei Spiele zu sehen, und nach dem ersten trafen wir spätabends noch einige Ultras des Heimklubs in ihrer Stammkneipe.
Irgendwann stand ich mit einem von ihnen draussen, nennen wir ihn Klaus. Wir tranken und unterhielten uns ein bisschen über Fussball, Kurven und Krawall. Klaus wollte wissen, welche «Szene» in der Schweiz die härteste sei und wo es am besten «knallt». Ich wich aus, worauf er nachhakte: «Griechenland, das ist geil! Da schmeissen sie sich Molotowcocktails in die Fanlokale!» Ich zuckte mit den Schultern. Dann sah ich mich um. Wie fände ich es, wenn in diesem Moment ein paar Anhänger des Lokalrivalen aus der Seitenstrasse auftauchen und unsere Kneipe in Brand setzen würden, inklusive Gäste? Wie fände Klaus das? Geil? «Ich versteh schon», lachte er, «denkst wohl, das hat nichts mit Fussball zu tun, was?» «Ja», sagte ich, «das denke ich ehrlich gesagt.» Worauf Klaus dann bald wieder reinging, zu den etwas weniger Weichen.
«Es ist dieses Pflegen von Feindbildern, dieses Aufreiben am gegnerischen Team, das nichts als Unverständnis auslöst», schrieb ein Reporter einer grossen Tageszeitung kürzlich über das Verhalten der Fans hinter dem Tor. Tatsächlich hat die kultivierte Abneigung, die Klaus in der griechischen Version als formvollendet erkennt und bewundert, oft etwas Befremdendes. «Tod und Hass» wird dem Gegner zugebrüllt, und es stellt sich die Frage, wie ernst gemeint das ist. Was täten die, die brüllen, dem Gegner an, würde ihnen Straffreiheit zugesichert? Brächten sie alle, die andere Farben tragen, um? Das wären dann je nach Spiel mehrere tausend Tote auf einen Schlag. Wie brächten sie sie um? Von Hand? Oder würden sie sie umbringen lassen? Und dann, wer müsste die Toten wegräumen aus dem Stadion? Täten sie das gerne selber, oder müsste das jemand anders für sie erledigen?
Vielleicht verbirgt sich ja Humor hinter den Phrasen – oder Ironie. Nur ist Humor in der Regel lustig, zumindest für einige, aber die, die «Tod und Hass» schreien, lachen selten dabei. Ironie wiederum ist eher subtil. Das Subtile bleibt hier aber verborgen. Was könnte es sonst sein? Eine blosse Hülle, unbedacht, ungeeignet für tiefer gehende Fragen? Möglich. Der Tod als heisse Luft. Warum auch nicht; postmodern ist, wenn alles nichts mehr heisst.
Ich kann mich an Fans erinnern, die wurden in ihren bartlosen Jahren noch von der Mutter zum Stadion gefahren, weil der Doppelhalter nicht aufs Velo passte. Heute sind sie an Spieltagen hauptsächlich damit beschäftigt, finster dreinzuschauen und so zu tun, als seien sie nie von ihrer Mutter zum Stadion gefahren worden. Sie versuchen jetzt, nur noch Leute mit denselben Farben sympathisch zu finden, auch unter der Woche. Sie denken in Territorien, und ihre Ehre heisst Treue, und dass das von den Nazis kommt, ist ihnen egal. Es gilt das Diktat der Grösse und der Härte. Auch im Kopf.
Die Fans von Chelsea dürfen keinen Stangensellerie mehr aufs Feld werfen, wenn sie ihr fröhliches Lied über stimulierende Penetrationspraktiken anstimmen. Das hat der Londoner Verein beschlossen, und es stand ebenfalls in der Zeitung. Warum auch immer es Stangensellerie sein muss, das Ritual ist in seiner vollkommenen Absurdität einzigartig und komisch. Nun wird es verboten.
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