Strafvollzug: Nachrichten vom Schlossherrn

Nr. 10 –

Die Zustände in den Gefängnissen waren vor allem in den achtziger Jahren regelmässig Thema in der WOZ.

Im April 1993 berichtete das Schweizer Fernsehen zum zweiten Mal live aus der bernischen Strafanstalt Thorberg. In der Woche davor hielten Isabel Drews und Urs Frieden in der WOZ (Nr. 13/93) Rückschau auf die erste Sendung aus dem ehemaligen Schloss, die 1975 über die Bildschirme gegangen war: «In der Gefängnishalle waren rund 140 Insassen versammelt, die sich durch Handaufheben zu Wort melden durften.» Anstaltsdirektor Fritz Werren hatte dafür gesorgt, dass ihnen nur 14 der 118 Minuten Sendezeit zukamen. «Im anderen Teil der Halle, durch eine Glaswand abgetrennt, sassen die Exponenten der Macht», Werren und seine Kollegen aus anderen Anstalten, die von einem «Behördengremium» sekundiert wurden. Aus dem Studio 3, dem Gasthof Bären in Krauchthal, erhielten die Gefangenen jedoch Unterstützung von der Aktion Strafvollzug (Astra). «Ursula Bingler plädierte für die Abschaffung der Zensur, eine frei zugängliche Telefonkabine, bessere Arbeits- und Lohnbedingungen und die sofortige Entfernung der Sichtblenden im Altbau - Blechlamellen, die seit hundert Jahren den Gefangenen den Blick aus dem Fenster verwehrten und die Zellen verdunkelten.» Werrens Zensurversuche waren vergebens, die Sendung löste eine breite Diskussion aus. Im Februar 1976 wurden die Blenden abmontiert.

Die Astra, die sich als Gewerkschaft der Gefangenen verstand, hatte «Geschichte geschrieben». «Wir waren gar nicht auf dem Reformierungskurs mit ein bisschen Therapieanstrich und so. Wir wollten einfach Recht durchsetzen», erklärte der ehemalige Astra-Aktivist Dieter Kuhn 1993 in der WOZ. «Kontaktrecht, Recht auf eine angemessene Entlohnung der Arbeit, Urlaubsrecht.»

Als die WOZ 1981 gegründet wurde, existierte die Astra schon zwei Jahre lang nicht mehr. Trotzdem blieb das Thema Strafvollzug auf der Traktandenliste der Linken und damit auch der WOZ. Insbesondere Marianne Fehr und Urs Frieden bemühten sich um die Gefängnisberichterstattung. Friedens Mitarbeit in der Berner Knastgruppe brachte der Zeitung «immer wieder Infos von drinnen». Kurzmeldungen - in den achtziger Jahren durchschnittlich in jeder vierten Ausgabe - liefen später unter dem Titel «Kassiber»: Es waren Nachrichten von andauernden Repressalien, von Urlaubssperren, von negativen Gutachten und von Arrest, aber auch von Arbeitsverweigerungen, Hungerstreiks und anderen Widerstandsformen. Dazu kamen die grösseren Berichte - über Walter Stürms Widerstand und Ausbruchsversuche, über die Gefangenen aus dem Umkreis der Roten Armee Fraktion (RAF), über die Isolationshaft - und immer wieder über den Thorberg und seinen Schlossherrn Fritz Werren. «Der hatte das Amt vom Vater geerbt und gehörte noch zur Generation der Direktoren, die die Strafanstalten mit militärischer Strenge führten.» 1987 forderten die Gefangenen in einer Petition Werrens Abgang. 1988 schasste der Oberst selbst den angeblich subversiven katholischen Anstaltspfarrer. 1989 konnten die Insassen dann jubeln und die WOZ spotten: Werren wurde «wegen guter Führung vorzeitig entlassen», sprich: zwangspensioniert. «Auf die Militärs folgten die Wirtschaftsleute und dann die Theologen», erläuterte Frieden.

Die Entspannung war nur von kurzer Dauer. 1993 hatte Erich Hauert während eines Hafturlaubs die zwanzigjährige Pasquale Brumann umgebracht. Kurz vor seinem Abgang aus der Redaktion berichtete Urs Frieden über die ersten Folgen des «Mordes am Zollikerberg» (WOZ Nr. 7/94). Die vom damaligen Zürcher Justizdirektor Moritz Leuenberger eingesetzte Untersuchungskommission erliess eine Urlaubssperre für alle Gefangenen, die angeblich eine Gefahr für die innere Sicherheit darstellten, darunter auch solche, die jahrelang als Vorzeigeobjekt der Resozialisierung gegolten hatten. Zehn Jahre später hiessen die StimmbürgerInnen die Verwahrungsinitiative gut.