Aus WOZ Nr. 21/91 (24. Mai 1991):: Missglückter Coup
Rauschender Beifall begleitete den einstigen Sekretär der Stiftung «Naschet Jenische» Stephan Frischknecht in die vorderen Tischreihen des Theatersaals im Restaurant «Emmental» in Olten, wo am 17. Mai die jüngste Versammlung der Opfer des Pro-Juventute-Hilfswerks «Kinder der Landstrasse» über die Bühne ging. Einige abgewählte Stiftungsratsmitglieder luden zur Gründung einer Interessengemeinschaft «Kinder der Landstrasse» ein, ein Coup mit dem Ziel, die Stiftung «Naschet Jenische» bzw. die noch immer ihres Amtes waltenden Stiftungsratsmitglieder öffentlich zu diskreditieren, die Stiftung zu ersetzen und ins Abseits zu drängen. Diese nämlich hatten ihren Herrn Sekretär vor einigen Wochen etwas unsanft vor die Tür gesetzt bzw. ihm ihr Misstrauen so lange ausgesprochen, bis er den Hut nahm. Ihrer wollte man sich nun in Olten entledigen, ganz in der bewährten Art des Herrn Stiftungssekretärs selbst, der in den letzten vier Jahren ein bewunderungswürdiges Talent bewies, missliebige MitarbeiterInnen öffentlich zu diffamieren, bis diese, weich geklopft, resignierten.
Beifall hin oder her, was bis letzte Woche so reibungslos funktionierte, wollte in Olten partout nicht funktionieren. Die Mehrheit der versammelten Jenischen wollte keinen neuen Verein gründen, zu schwer wog der Verdacht, dass der alte Sekretär diesen dazu benutzen könnte, seine finanziellen Forderungen in der Höhe von 345 000 Franken doch noch anzubringen. Zu schwer wog auch die Angst vor einer Spaltung der Jenischen und der Verdacht, durch diesen neuen Verein ebenso gegängelt zu werden wie durch den vorangegangenen. Stattdessen forderten die Anwesenden die sofortige Einberufung einer Vollversammlung der Jenischen, der das Recht auf eine demokratische Wahl des Stiftungsrates der «Naschet Jenische» eingeräumt werden müsse. Gleichzeitig forderten sie, dass die gewählten Stiftungsratsmitglieder fortan ihre Arbeit vor dieser Vollversammlung zu begründen und durch sie zu bestätigen haben, was einer wünschenswerten Kontrolle ihrer Arbeit durch die Betroffenen des ehemaligen PJ-Hilfswerks «Kinder der Landstrasse» gleichkommt. Sozusagen kurz vor Abschluss der totalen Verstaatlichung des jenischen Widerstands und Protests durch den Bund und seine HelfershelferInnen - zu denen auch Stephan Frischknecht gehört - finden die Jenischen noch einmal zusammen. Insofern hat sich die jahrelange Arbeit einiger QuerdenkerInnen unter den Jenischen doch gelohnt. Noch ist aber nicht abzusehen, wie der Bund mit dieser neuen Situation umgehen wird. Noch ist auch die Rolle nicht klar definiert, welche die vom Bund eingesetzte neue Fondskommission - ihr obliegt die Verteilung der Wiedergutmachungsgelder an Betroffene des ehemaligen Hilfswerks - einzunehmen gewillt ist. Ratsam wäre, dass sie sich vor Beginn ihrer Arbeit mit den Jenischen zusammensetzt und ihre Zielsetzungen und vorgesehene Arbeitsweise diskutiert. Es könnte sie sonst schon bald dasselbe Schicksal ereilen wie Frischknecht. Und wenn es darum geht, sich und die jenische Gemeinschaft zu schützen, anerkennen die Jenischen keine bürokratischen Regeln, sosehr sich dies die jubilierende Eidgenossenschaft auch wünschte in ihrem Bemühen, endlich einen Schlussstrich unter die von ihr während Jahrzehnten (1926-1973) unterstützte und geförderte Ausrottungskampagne gegen das jenische Volk zu ziehen.