Ausbrecherkönig Stürm: Strapazen einer Auslieferung

Nr. 6 –

«Von Walter Stürm, z.Zt. Untersuchungsgefängnis Sion», lautet die Autorenzeile des Textes «Ich kam mir vor wie ein Goldtransport» aus der WOZ Nr. 6 vom 9. Februar 1990. Walter Stürm, berühmt geworden als «Ausbrecherkönig», beschreibt die «Strapazen einer Auslieferung». Am 30. Juni 1989 war Stürm in seinem Appartement im Küstenort Valle Gran Rey auf der Kanarischen Insel La Gomera verhaftet worden. Damit war seine siebte Flucht zu Ende. Nach seiner Auslieferung Ende Januar 1990 beschrieb Stürm der WOZ in einem Brief die Auslieferung. Die WOZ befand aufgrund des Textes: «Dass er das Prozedere ohne grössere Schäden überstanden hat, ist ein kleines Wunder.»

Madrid: «Der spanische Interpolmensch sagte dann, er werde jetzt die vorgeschriebene Identifikation vornehmen. Aus einem mitgebrachten Beutel zog er ein Stempelkissen, eine Lupe, zwei Blatt Papier und ein Foto. Das Foto verglich er mit dem Original und sagte, der Bart sei jetzt länger. Dann drückte er mir den Daumen und den Zeigefinger auf das Stempelkissen und danach aufs Papier. Die so gewonnenen Fingerabdrücke hielt er neben das zweite Blatt, auf dem er schon mitgebrachte Fingerabdrücke hatte, betrachtete das Ganze mit der Lupe und machte ‹mhm›. Dann reichte er die beiden Blätter samt Lupe den beiden Krawattierten. Die waren von dieser spanischen Identifikationstechnik wohl etwas überfordert. Sie betrachteten die Fingerabdrücke durch die Lupe und machten dazu Gesichter wie Leute, die keine Ahnung von Wein haben und in einem Restaurant den Wein probieren sollen, wobei sie der Kellner mit der Flasche in der Hand fragend anblickt. Sie äusserten sich nicht, nicht einmal mit ‹mhm›, und gaben die Papiere samt Lupe zurück.»

Die Fahrt zum Flughafen mit dem «Interpolmenschen» und den beiden Krawattierten wurde laut Stürms Bericht ein gefährlicher Ritt. Der spanische Polizist gab dem Fahrer die Anweisung, über sämtliche rote Ampeln zu fahren. Nach mehreren Beinaheunfällen verpasste der Fahrer die Abbiegung zum Flughafen.

«Der Interpolmensch dirigierte den Fahrer auf die Schnellstrasse zurück und sagte ihm, er solle Richtung Madrid zurückfahren, weiter vorne habe es im Mittelstreifen eine Rotkreuzstation und dort könne er über den Mittelstreifen auf die Gegenfahrbahn gelangen. Der Fahrer meinte, das sei verboten und gefährlich, aber der Interpolmensch sagte, es sei ja dunkel und er müsse halt aufpassen. Wir kamen dann, ohne dass es knallte, auf die andere Seite und schliesslich zum ‹Abflug›.»

Flughafen: «Der Interpolmensch hatte inzwischen noch vier Uniformbullen zusätzlich aufgeboten, und mitten in dem Pulk wurde ich zum Warteraum 7 geschleppt. Ich kam mir vor wie ein Goldtransport und wurde auch entsprechend begafft. Nach etwa zehn Minuten begannen sie sich darüber zu wundern, dass ausser uns niemand im Warteraum 7 war, und sie fanden dann raus, dass der Warteraum 7 der falsche und dafür der Warteraum 4 der richtige war. So schleppten sie mich zum Warteraum 4. Die beiden Krawattierten trauten dem Organisationstalent des Interpolmenschen offenbar nicht mehr so ganz und erkundigten sich bei einer Hostess. Der Interpolmensch, der das bemerkte, sagte, sie sollten nur ganz ruhig bleiben, alles sei bestens organisiert, und als sie das nicht ganz begriffen, sagte er der Hostess, sie solle das diesen beiden Franzosen übersetzen.»




Walter Stürm nahm sich neun Jahre nach Veröffentlichung dieses Textes im Frauenfelder Untersuchungsgefängnis das Leben. Insgesamt war er achtmal aus solchen ausgebrochen.

Bis zu unserem Jubiläum im Herbst werden wir an dieser Stelle eine kleine Auswahl der Highlights vorstellen, die in den letzten 24 Jahren in der jeweiligen Kalenderwoche in der WOZ erschienen sind. Diesmal: Kalenderwoche 6.

Den vollständigen Text über Walter Stürms Auslieferung (WOZ Nr. 6/90) finden Sie hier www.woz.ch/artikel/archiv/12919.html