Aus WOZ Nr. 39/1995:: Blocher rief. Sie kamen auch

Nr. 39 –

Die angekündigten Hammerskins blieben aus. Trotzdem marschierten am letzten Samstag rechtsextreme Schläger in Blochers Umzug, bevor sie zur Tat schritten.

Am Tag vor der Kundgebung hat die Zürcher SVP die Polizei informiert, dass die Schweizer Hammerskins (siehe WoZ Nr. 34/95) ihre Demoteilnahme angekündigt hätten. Am letzten Samstag sind sie jedoch in Zürich nicht gesichtet worden. Trotzdem sieht man bereits bei der morgendlichen Besammlung zu Blochers Kundgebung am Bürkliplatz kleine Gruppen von Männern in Bomberjacken, teils mit aufgenähten Schweizerkreuzen, teils mit anderen einschlägigen Insignien. Einige Kürzesthaarige - wahrscheinlich Mitglieder der Zürcher «City-Boys» - tragen Sticker des Schlittschuhclubs Zürich.

Die jugendlichen Rechtsextremen marschieren dann im Umzug ungehindert mit. Neben den Hooligans beehren auch andere Rechtsextreme Blochers Aufmarsch mit ihrem Erscheinen: Hinter dem Transparent der Schweizer Demokraten läuft Norbert Camenzind, einst der «Schatten» von Marcel Strebel. Beim Münsterhof, neben den Verkaufsständen der Kundgebung, wirbt stundenlang ein grossgewachsener, junger Mann mit einem kleinen rosa Zettel für die Zeitschrift «Recht und Freiheit» des Basler SVP-Mitglieds Ernst Indlekofer, letztes Jahr Kopräsident des Rahmschen Komitees gegen die Antirassismus-Strafnorm. Keiner habe das Recht, so steht in der September-Ausgabe von «Recht und Freiheit», der braunen Mariette Paschoud «seine eigene historische Meinung des Nationalsozialismus aufzuzwingen, nur weil dies augenblicklich politisch angebracht scheint». In der «Einzelnummer zu den Wahlen» bezeichnet das Blatt das Antirassismus-Gesetz als einen «terroristischen Staatsakt». Zu den bevorstehenden nationalen Wahlen empfiehlt das Blättchen des SVP-Mitglieds die Wahl der Freiheitspartei Schweiz oder der Schweizer Demokraten. Die baselstädtische SVP hat sich bis anhin geweigert, ihr rechtsextremes Mitglied Indlekofer auszuschliessen.

Gegen Mittag, nachdem die TeilnehmerInnen der unbewilligten autonomen Gegendemonstration auf dem Limmatquai vorgerückt sind, lösen sich aus der Menge der Blocher-Kundgebung mehrere Dutzend Rechtsradikale. Sie skandieren «Sieg Heil» und machen den Hitlergruss. Zwei tragen eine Schweizerfahne. Sie werfen unbehelligt - teils im Rücken der Polizeigrenadiere - mit Pflastersteinen gegen die GegendemonstrantInnen.

Kurz nach ein Uhr erscheinen auf der Stüssihofstatt unvermittelt Rechtsradikale, die bereits auf der Münsterbrücke als Steinewerfer in Erscheinung getreten sind. Sie greifen mehrere Personen an und beschimpfen sie. Einen dazwischentretenden Mann malträtieren sie mit einem Hammer und einem Baseballschläger. Das Opfer erleidet einen Kopfschwartenriss, Prellungen und eine Hirnerschütterung. Ob er Anzeige erstattet, ist zur Zeit offen. Eigentlich müsste sie überflüssig sein: Schwere Körperverletzung ist ein Offizialdelikt.

Ebenfalls kurz nach ein Uhr liegt auf der Rudolf-Brun-Brücke ein ziviler Polizeiwagen umgekippt auf dem Dach. In der Bahnhofstrasse lungert eine Gruppe Rechtsextremer und fordert eine eintreffende Gruppe von Polizisten zum harten Durchgreifen gegen «die Linken» auf. Als die Polizisten gegen die Brücke vorrücken, folgen die Rechtsextremen den Polizeigrenadieren, ohne weggewiesen zu werden.

Um vier Uhr nachmittags vor dem Landesmuseum und dem Eingang zum Platzspitz. Auf einer Verkehrsinsel stehen eindeutig erkennbar mehrere zivile Polizisten. Zwei oder drei Rechte versuchen, sich bei den Beamten anzubiedern. Besonders auffällig ein junger Mann, wohl noch nicht achtzehnjährig. Er gehe, erzählt er, immer an die Spiele des Fussballklubs Basel und wolle anschliessend an das FCB-Cupspiel in Subingen, Solothurn. Als ein junger Mann mit einem «Halt’s Maul, Blocher!»-T-Shirt über die Verkehrsinsel geht, beschimpft ihn der FCB-Hooligan, droht mit Schlägen und greift ihm ans T-Shirt. Die danebenstehenden Polizisten wollen vom Angriff nichts bemerken.

Stadt- und Kantonspolizei Zürich haben am letzten Samstag insgesamt siebzehn Personen verhaftet. Zur politischen Gesinnung der von ihr Verhafteten hält die Kantonspolizei Zürich gegenüber der WoZ in einer schriftlichen Stellungnahme fest: «Aus den polizeilichen Einvernahmen geht nicht hervor, dass sie irgendeiner politischen Gruppierung oder Richtung angehören. Hingegen geben die meisten an, dass sie in Medien gelesen hätten, dass am Samstag in Zürich ‘Action’ sei, und deswegen wären sie gekommen.»

Rechtes Gemüse, linke Bratwurst

«Fegt hinweg, den linken Dreck», skandieren zwei Schweizer Demokraten. Von einem Heuwagen kommt eine Sonnenblume geflogen, direkt in meine Arme. «Lieber tot als rot», brüllt der stumpenrauchende Werfer.

Es ist ungemütlich, an diesem Samstagmorgen um elf Uhr am Zürcher Paradeplatz. Blochers Schweiz defiliert. Fast endlos marschiert es die Bahnhofstrasse hinauf. Kavallerievereinspferde traben, die Zuger SVP-Sektion winkt, und Walter Frey strahlt wie am Sechseläuten. Dazwischen schwingen Treichler ihre Glocken, bedächtig und bedeutsam. Krakelig beschriftete Transparente bewegen sich über den Köpfen - «Blocher ist der Grösste» und «Blocher ist der Beste» -, und imposante Landmaschinen brummen zwischen Modeboutiquen und Bankfilialen. Eine schwarze Frau mit Einkaufstaschen durchquert die Kundgebung. Und wieder werfen stumpenrauchende Hemdsärmlige etwas in die Menge, diesmal ist es in Cellophan abgepacktes Suppengemüse.

Aggressive Bodenständigkeit auf Schritt und Tritt: Wer nicht holländische Mähdrescher fährt und Glocken schwingt - oder zumindest beides zu den grossen eidgenössischen Kulturgütern zählt -, den wollen wir nicht, den fegen wir hinweg. Längst übersteigt die Begeisterung für Blocher das sonst landesübliche Mass und wird zur bedingungslosen Liebe. Da tönt es nicht mehr, «de Blocher seit, was mir tänked», sondern «de Blocher isch öise Retter». Ein Retter allerdings, dessen Anhänger über wenig Demoerfahrung verfügen. Immer wieder klaffen mehrere Meter lange Lücken im Kundgebungszug, die Wagen sind dilettantisch geschmückt - und der Zürcher Ständeratskandidat Toni Bortoluzzi («Ein Mann, ein Wort») dürfte nach dem samstäglichen Plakate-Overkill auch manchem SVPler zum Hals raushängen.

So darf man schmunzeln. Und sogar ein bisschen aufschnaufen, denn Blochers Marsch wirkt, trotz allen bäuerlichen Mythen, auch entmystifizierend. Erstmals zeigt sich die Isolationsschweiz offen auf der Strasse, eine Schweiz der älteren und alten Männer, letztlich eine Schweiz von gestern. Allerdings mag die Kundgebung trügen: Den Nährboden des Meilener Populisten bilden soziale und politische Probleme, die aktuell bleiben. Und Jugendliche machen ebenfalls bei Blocher mit, und zwar nicht nur prügelnd auf der Strasse: Die Junge SVP des Kantons Zürich verzeichnet Zulauf wie keine andere Jungpartei.

Nach Abschluss der rechten Kundgebung bleibt ein Gruseln - nun heimzugehen, wäre deprimierend. Plötzlich wird die Teilnahme an der umstrittenen SP-Gegenkundgebung zur therapeutischen Notwendigkeit, entsteht das Bedürfnis, ein paar Leute jenseits von Treicheln und Mähdreschern zu sehen. Und tatsächlich: Gegen zwei Uhr staut sich vor dem Haupteingang des Platzspitzparkes eine Menschenschlange. Tausende zwängen durch den Einlass im Gitterverschlag, welcher der sozialdemokratische Polizeivorstand nach der Platzspitzschliessung anbringen liess.

Der peuple de gauche vergisst schnell, wer hier einst vertrieben worden ist, und nimmt den teuer sanierten Park in Beschlag. Doppelt so viele Leute, wie die Zürcher SP in ihren kühnsten Erwartungen erhoffte, sind gekommen. Schon bald mangelt es an Mineralwasser, und der Nachschub bleibt in den Demowirren der Innenstadt stecken. Die Stimmung ist locker, 1. Mai im September, allerdings mit Bratwurst statt Kebab und Falafel.

Allmählich verflüchtigen sich die Bilder vom Morgen. Und je mehr Leute sich zwischen die neoklassizistischen Brunnenanlagen und das Rondell zwängen, desto stärker der Eindruck: An diesem Samstag hat Blocher den Bogen überspannt. Seine Provokation wird erwidert - die Provokation, mit Landigeistern den urbanen Nabel Zürich zu okkupieren. Und die Anmassung, mitten in der Stadt eine Alphütte als Rednertribüne aufzubauen, auf dem Münsterhof, wo vor zwei Jahren Tausende für Christiane Brunner demonstriert haben. Das mobilisiert, oder wie die Zürcher SP ihren Erfolg simpel erklärt: Man kann zum ersten Mal gegen Blocher demonstrieren. Befriedigt wird also eine politische und emotionale Nachfrage - mit Reden und Musik und einem Schuss sozialdemokratischem «Kussecht»-Sauglattismus, einer Blocher-Persiflage von Walter Andreas Müller.

Aus diesen Kabarett-Niederungen erhebt sich gegen drei Uhr der Star der SP-Show, der abtretende Bundesrat Otto Stich. Er, der weder als Euro-Euphoriker noch als Anti-Blocher nach Zürich gereist ist, spricht über politische Kultur, wenig brillant zwar, aber glaubwürdig. In seiner Kritik an der SVP-Propaganda, die Stich schon vor zwei Jahren vorbrachte, steckt eine antifaschistische Grundhaltung, die tief verankert scheint. «Ich werde immer antreten, wenn Spielregeln in einer Art und Weise verletzt werden, die mich ans Dritte Reich erinnern», gibt er nach seiner Rede zu Protokoll. Der ehemalige linke Buhmann, Verhinderer der ersten Bundesrätin, steigt an diesem sonnigen Nachmittag zum sozialdemokratischen Übervater auf. Und dies auch deshalb, weil er die Werte der Sozialdemokratie glaubwürdiger verkörpert als manche 68er Sozis in kommunalen und kantonalen Exekutiven.

Das SP-Volk jubelt und tobt - und zwingt Stich beinahe zu einer Zugabe. Die Anwesenden stört kaum, dass an ihrem Fest für eine offene und tolerante Schweiz AusländerInnen beinahe gänzlich fehlen. Blocher sei ein Problem der SchweizerInnen, befand die veranstaltende SP im voraus und lud deshalb keine AusländerInnenorganisationen ein. Und es scheint die TeilnehmerInnen auch wenig zu kümmern, dass die frühere SP-Basis, die Büezer, ein weiteres Mal kaum erscheinen. Anders als am SVP-Marsch, wo viele einfache Leute mit existentiellen Ängsten hinter dem Multimillionär Blocher herliefen, tummelt sich hinter dem Landesmuseum eine gutsituierte SP-Kundschaft, die sich eine tolerante Geisteshaltung leisten kann.

Doch trotz dieser Wölkchen über dem Platzspitz: Die SP hat mobilisiert, und zwar erfolgreicher als Blocher. Was bleibt: Ein paar Neueintritte bei der Zürcher SP - und, wesentlicher, ein Zeichen an die Romandie. Der besserwisserischen und ausgrenzenden SVP-Schweiz erwächst endlich auch in der Deutschschweiz sichtbarer Widerstand.

Matthias Baer