WOZ-Enthüllungen: Willi von der Bombenpolizei
Vier vollamtliche Polizeispitzel in der linken Szene hat die WOZ enttarnt. Wie kam es dazu? Und was tun heutige Spitzel?
Es wurmt auch heute noch. 1986 und 1990, als die WOZ je zwei Stadtzürcher Polizisten als Spitzel enttarnte, waren sie aus den von ihnen infiltrierten Szenen bereits ausgestiegen, aus den «Linken» waren wieder gewöhnliche Polizisten geworden. Noch lieber hätten wir natürlich einen dieser Undercover-Agenten in flagranti erwischt - so wie 1976 den Cincera-Spitzel Andreas Kühnis.
Sowohl Kühnis wie Walter Truniger, der erste von der WOZ enttarnte Polizist, sind aufgeflogen, weil Leute aus ihrem eigenen Umfeld den entscheidenden Tipp gaben - Couragierte, denen das Schnüffeln unter falscher Identität oder auch die Auftraggeber zuwider waren.
Bei der Polizei werden vollamtliche Spitzel «Insider» genannt. Bis zu fünf Jahre spielten diese mit Aliasnamen und langen Haaren die Rolle von Linken, ermunterten als Agents provocateurs zu Straftaten, meldeten dutzende bis hunderte von Sitzungs- und DemoteilnehmerInnen ins KK III an der Stampfenbachstrasse, ins Kriminalkommissariat III der Stapo Zürich, dem Staatsschutz der Stadt.
Marco und Willi
Die Truniger-Geschichte war ein Abfallprodukt. Eigentlich war ich einem anonymen Hinweis nachgegangen, wonach beim Anschlag auf die Stube der Zürcher SP-Regierungsrätin Hedi Lang von 1984 Staatsschützer die Finger mit im Spiel gehabt hätten. «Gehen Sie gescheiter dem Bombenanschlag der Trotzkisten auf ein Konsulat in Zürich nach», wurde mir bedeutet.
Eine Stunde später war klar: Die Bombenattrappe, die Maulwurf-Aktivisten vor den Eingang des Generalkonsulats von El Salvador gelegt hatten, war von ihrem Genossen «Marco Schmidt» vorgeschlagen und gebastelt worden. Doch wer war «Marco», inzwischen ins Nichts entschwunden? Die Fotogalerie der Rekruten in der Polizeihauszeitschrift «Stapo-Information» führte rasch zu Walter Truniger, und der Skandal war perfekt: Ein Stadtpolizist legt eine Bombenattrappe und schlägt zudem einen Buttersäureanschlag auf Bundesrat Rudolf Friedrich vor! «Marco kam 1980 immer zusammen mit Willi an die Demos», erinnerten sich daraufhin viele. «Erst später ging Willi seine eigenen Wege in Richtung autonome Szene.» Der Zwillingsauftritt ergab den entscheidenden Hinweis auf den nächsten Insider. Demofotos mit «Willi Schaller» - auch er inzwischen abgetaucht - waren rasch gefunden, doch niemand erkannte ihn auf den Passfotos der Polizei, die wir damals in der Zentralbibliothek in der «Stapo-Information» fanden. Später hat die ZB, Staatsräson geht vor Bibliotheksehre, alle Jahrgänge ab 1980 aus ihrem Bestand entfernt.
Es folgte eine wochenlange, extrem aufwendige Recherche, an der sich Leute aus der Szene intensiv beteiligten. Irgendwann fiel der Verdacht auf Willy Schaffner. Aus dem Verdacht wurde ein Beweis, weil Schaffner daheim in Altdorf am Stammtisch mit falschen Ausweisen geblufft hatte.
«Präventiv» zu Delikten ermuntert
Gegenüber Truniger hatte Willi, der sich bei den Autonomen wie ein Fisch im Wasser (oder vielmehr im Bier) bewegte, noch einen Zahn zugelegt. «Staatsschutz offerierte Sprengstoff für Anschlag auf BBC», hiess die WOZ-Schlagzeile am 28. November 1986. Allen gegenteiligen Beteuerungen der Polizei zum Trotz wirken Spitzel praktisch immer als Agents provocateurs - sie wollen ja das infiltrierte Milieu testen. Als in den legendären Café-Boy-Sitzungen in einem engen Kreis diskutiert wurde, was gegen den umstrittenen Atatürk-Staudamm in der Türkei unternommen werden könnte, wurde Willi nach der Sitzung deutlicher, wie sich ein Genosse erinnerte: «Mit endlosen Diskussionen verhindere man den Staudamm nicht. Da helfe nur ein Bombenanschlag auf die BBC in Baden, die zentral am Mammutprojekt beteiligt ist. Er könne jederzeit den nötigen Sprengstoff liefern.»
Merke: Die «präventive» Polizei, wie sich die Schnüffelpolizei gerne nennt, hat noch nie etwas verhindert. Weit eher hat sie zu Delikten ermuntert. Der Staatsschutz verhindert nicht Straftaten, er sammelt Informationen, im Fall der Zürcher Polizeispitzel bis hin zur Antiapartheidbewegung, der Anti-AKW-Bewegung oder der Zürcher Volksuni.
Als die WOZ mit der Schaffner-Enthüllung erschien, verschlug es der Stapo die Sprache. Die Insider waren ihr offensichtlich aus dem Ruder gelaufen. 1980, bei Beginn der Zürcher Jugendunruhen, war das KK III völlig überrumpelt und stand gegenüber dem Polizeikommando mit abgesägten Hosen da. So entstand im Sommer 1980 die Idee, nicht mehr nur lässig gekleidete Jungpolizisten an Vollversammlungen zu schicken, sondern die Szene mit Fulltime-Insidern zu unterwandern.
Ein Spitzel sitzt auf Kohlen
Die WOZ illustrierte die Schaffner-Geschichte unter anderem mit einem Ausriss aus dem Telefonbuch: Schaller Willi, Badenerstrasse 285. Das gab grosse Augen bei der damals aktiven Jobbergruppe Wilde Katze: An dieser Adresse wohnte doch ihr Kollege «René Gross»? Zu sechst statteten sie diesem einen denkwürdigen Besuch ab. «René» war eben daran, seine Spesenabrechnung fürs KK III zusammenzustellen und konnte die Blätter gerade noch unter seinen Arsch schieben und blieb darauf sitzen - während des ganzen vier Stunden dauernden Verhörs, das den Spitzelverdacht nicht erhärten, aber auch nicht ausräumen konnte. Als er wieder allein war, brauchte er zuerst eine Zigi, dann telefonierte er seinem Führungsoffizier: «Ich will aussteigen.»
Jetzt realisierte auch Stapo-Kommandant Peter Hofacher, dass der Insider-Einsatz zu riskant geworden war. Er zog alle Insider zurück, vorerst ohne dass die Öffentlichkeit davon erfuhr.
Erst 1990, als der Schnüffelstaat Schweiz seine Fichen aushändigen musste, flogen als Spitzel Nr. 3 auch der auf die Anti-AKW-Bewegung angesetzte René Grenacher alias Gross auf und als Nr. 4 Stadtpolizist Heinrich Burch alias «Henry Gasser», der als Aktivist im Kanzleizentrum auftrat. Auch bei diesen Enttarnungen halfen Schnitzer der Polizei weiter. Letztlich hat KK-III-Chef Heinz Niederer die Insider mit seinen Stümpereien verheizt und war zuletzt feige genug, nicht vor der Untersuchungskommission des Zürcher Gemeinderats zu erscheinen.
Von der Szene aufs Trottoir
Als die WOZ Willy Schaffner 1986 enttarnte, wollte sie mit ihm ein Interview führen - was er rüde ablehnte. «Das war vielleicht ein Fehler», sagte er letzten Samstag, als ich ihn im Internetcafé gegenüber der Urania-Hauptwache traf. Schaffner beobachtet die Szene noch heute, als Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes vom Trottoir aus. Manche schreiben ihm eine deeskalierende Rolle zu. Was Schaffner heute denkt, ist im folgenden Interview nachzulesen.
Die Zürcher Stapo verkündet zwar gerne, dass sie seit 1986 im politischen Bereich keine Insider (vollamtliche Polizisten mit falscher Identität) mehr in die Szene einschleuse. Aber ebenso beredt ist das Schweigen, wenn man ein ebenso klares Dementi zum Einsatz von V-Leuten (von der Politpolizei geführte Vertrauensleute) hören möchte. Die Stapo Zürich verzichtet zwar auf permanente Insider. Dafür mischen sich zivile Polizisten als Quasiszeneangehörige temporär in Demogruppen und wirken als «Greifer»; dass die Grenzen zum Agent provocateur fliessend sind, ist unvermeidlich.
Im Jahr 2002 reiste ein Mitarbeiter der Stapo-Infostelle mit dem Streifenwagen quer durch mehrere Kantone, um einem jungen Fotografen, der am 1. Mai verhaftet worden war, seinen Film samt einem Satz Abzüge zurückzugeben und ihm eine bezahlte Zusammenarbeit vorzuschlagen - mit dem maliziösen Hinweis, dies hätte einen günstigen Einfluss auf den polizeilichen Rapport über ihn wegen Landfriedensbruchs. Aber ohne Hinweis darauf, dass von den Negativen illegal Abzüge fürs Polizeiarchiv gemacht wurden.
Der Dienst für Analyse und Prävention (DAP) des Bundes sucht per Inserat Studierende, die gegen Aufwandhonorar linke Veranstaltungen observieren. Kurzum: Es wurden kostengünstigere Methoden der verdeckten Fahndung gefunden als jene der achtziger Jahre, die mit neun Insidern und ihren insgesamt 16 Mannjahren anderthalb Millionen Franken gekostet hat.
Willy Schaffner: Blitzartig abgetaucht
Willy Schaffner wurde 1986 von der WOZ als Polizeispitzel enttarnt. Ein Gespräch - neunzehn Jahre danach.
WOZ: Herr Schaffner, wo arbeiten Sie heute?
Willy Schaffner: Ich bin Feldweibel und arbeite beim Sicherheitsdienst der Stadtpolizei Zürich. Dieser Fachbereich ist für den Personen- und Objektschutz sowie die Informationsbeschaffung zuständig. Zum Bereich gehört auch die Fachgruppe Hooliganismus. Entstanden ist die Gruppe Informationen zwar 1991 nach der Abschaffung des Staatsschutzes, ist aber mit diesem nicht vergleichbar.
1980 bis 1985 verkehrten Sie als staatlich besoldeter «Insider» in der linken Szene.
Das ist ein abgeschlossener Lebensabschnitt. Er war sehr lehrreich und informativ, ich habe eine andere Welt kennen gelernt.
Sie gelten als der erfolgreichste Insider.
Es ist schon so; nach fünf Jahren kannte ich etwa 400 bis 500 Leute.
Laut dem Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission PUK hatten Sie Zugang zum «innersten Kreis».
Ich war regelmässig bei den nichtöffentlichen Sitzungen im Café Boy dabei, das war die oberste Stufe. Bei internen Sitzungen des Revolutionären Aufbaus wäre ich sicher nicht reingekommen.
Im Café Boy war auch ein Insider der Kantonspolizei dabei.
Ein paar Mal, nicht immer.
Weshalb sind Sie aufgeflogen, der kantonale Insider hingegen nicht?
Nach der Enttarnung von Truniger war damit zu rechnen, dass auch ich auffliegen werde. Da wurde gut recherchiert, zum Insider des Kantons weniger. Der Kanton hat wenig gesagt und ich vor der PUK ebenfalls. Ist ja logisch, dass man einander nicht verzinkt.
Gab es Rollenkonflikte?
Richtig. Die Gefahr des Kippens, des selektiv Rapportierens hätte kommen können. Fünf Jahre waren zu lang. In den kritischen Jahren 1980/81 war das sicher eine gute Sache, und ich würde das wieder machen - aber höchstens für zwei Jahre.
Wie erlebten Sie die WOZ-Publikation?
Sie schlug wie ein Blitz ein. Ich musste blitzartig abtauchen, meine Sachen zusammenpacken und meinen Sohn zur Schule rausnehmen. Für zwei Wochen, als mich alle Medien suchten, war ich spurlos verschwunden. Auch Bekannte und Verwandte haben gestaunt und gefragt: Ja stimmt denn das?
Es stimmte ja.
Einzelne Teile des Artikels hatten einen gewissen Wahrheitsgehalt, aber es stimmte natürlich nicht alles.
Was zum Beispiel nicht?
(Zeigt auf die Schlagzeile «Staatsschutz offerierte Sprengstoff für Anschlag») Das waren massive Vorwürfe. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ich das in irgendeiner Form vielleicht sinngemäss mal gesagt habe, morgens um zwei Uhr. Als Journalist hätte ich das auch hervorgehoben.
Andern Medien haben Sie eine Gegendarstellung geschickt, nicht aber der WOZ ...
Ja, in Absprache mit der Führung habe ich nicht reagiert.
Vielleicht wollte die Führung vermeiden, dass man über Ihre groben nachrichtendienstlichen Schnitzer spricht?
Da gab es Fehler, schlicht und einfach nicht professionell. Es war Neuland für alle. Auch unsere Chefs waren mit dieser ganzen verdeckten Sache teilweise überfordert.
Was passiert, wenn Sie heute den damals Bespitzelten begegnen?
Ich suche den Kontakt nicht. Man sieht sich gelegentlich auf der Strasse und gibt sich die Hand. Mit sehr wenigen bin ich per Du.
Wie denken Sie heute über das Instrument Insider?
Die verdeckte Fahndung ist in Sachen Drogen und Waffenhandel, also bei wirklich strafbaren Delikten, ein sinnvolles Instrument. Weiter möchte ich mich dazu nicht äussern.
Und in politischen Milieus?
Das ist der heikelste Bereich. Mit dem PUK-Bericht wurde beschlossen, dass es keine Insider mehr gibt, und das wurde bis jetzt eingehalten. Es wäre auch in der Form, wie wir es gemacht haben, absolut nicht sinnvoll.
Und V-Leute im politischen Bereich?
Das ist heikel. Das Thema Auskunftspersonen ist allgemein sehr komplex. Dazu möchte ich mich nicht äussern.
Interview: Jürg Frischknecht