Blocher rief. Sie kamen auch

Nr. 39 –

Wie die WOZ 1995 über einen innerschweizerischen Clash der Kulturen berichtete

Es war ein Clash der Kulturen an jenem Samstag, dem 23. September 1995, in Zürich - grad ein dreifacher. Am Morgen zogen Blocher-Fans und Europa-GegnerInnen durch die Bahnhofstrasse, am Mittag trafen sich autonome GegendemonstrantInnen «für eine Zukunft ohne Arschlöcher» am Bellevue, am Nachmittag organisierte die SP eine Kundgebung «für eine offene und tolerante Schweiz» auf dem Platzspitz.

Im Vorfeld sah es aus, als würde die SP-Kundgebung ein Flop. Der Versuch der Partei, mit den Bürgerlichen zusammen «eine breite Sammlung fortschrittlicher Kräfte anführen zu können», sei zum Scheitern verurteilt, schrieb Matthias Preisser am Vortag in der WOZ. Zu nah stünden die Bürgerlichen der SVP: In der Asyl- und Migrationspolitik «stellen für sie Blocher und die SVP zwar eine scharfe Konkurrenz beim Buhlen um die WählerInnengunst dar, die inhaltlichen Differenzen sind jedoch nicht unüberbrückbar» - das hat sich auch heute, elf Jahre später, in den Positionen von CVP und FDP zum Asyl- und zum Ausländergesetz gezeigt. «Mit oder ohne Bürgerliche, es bleibt die Frage: Hingehen oder nicht? Hingehen, weil die Forderung nach einer offenen und toleranten Schweiz unterstützungswürdig ist? Hingehen, weil Blochers Politik etwas entgegengesetzt werden muss? (…) Oder nicht hingehen, weil die Forderung nach einer offenen und toleranten Schweiz angesichts der nicht nur in Zürich von der SP praktizierten Ausgrenzungs- und Repressionspolitik blanker Hohn ist?»

Der Samstag war dann aber ein Erfolg - für alle. Auf der Bahnhofstrasse defilierten Treichler und Kavalleriepferde, der abtretende Bundesrat Otto Stich wurde auf dem Platzspitz von einer riesigen Menge empfangen, und die Linksradikalen lieferten eine militante Demo, von der manche heute noch gern erzählen. Den allergrössten Auftritt hatte aber der rechtsextreme Flügel der Blocher-Fans. Hans Stutz war für die WOZ auf Beobachtungsposten: «Gegen Mittag, nachdem die TeilnehmerInnen der unbewilligten autonomen Gegendemonstration auf dem Limmatquai vorgerückt sind, lösen sich aus der Menge der Blocher-Kundgebung mehrere Dutzend Rechtsradikale. Sie skandieren «Sieg Heil» und machen den Hitlergruss. Sie werfen unbehelligt - teils im Rücken der Polizeigrenadiere - mit Pflastersteinen gegen die GegendemonstrantInnen.» Auch ausserhalb der Demo griffen die Rechten Personen an. Einen Mann, der dazwischengehen wollte, verprügelten sie, er erlitt einen Kopfschwartenriss und eine Hirnerschütterung. Stutz beobachtete auch mehrmals, wie Rechtsextreme mit Polizisten plauderten und sie anfeuerten: «In der Bahnhofstrasse lungert eine Gruppe Rechtsextremer und fordert eine eintreffende Gruppe von Polizisten zum harten Durchgreifen gegen (die Linken) auf.»

«Aus unserer Veranstaltung kamen keine Chaoten», behauptete Christoph Blocher am Montag danach gegenüber dem «Tages-Anzeiger». Er log: Die WOZ veröffentlichte Fotos von ihnen, Fotos, die dieselben jungen Männer zuerst am Umzug und nachher beim Steinewerfen zeigten.

Im gleichen Herbst 1995 überfielen Rechtsextreme ein antifaschistisches Konzert im luzernischen Hochdorf und verletzten mehrere BesucherInnen. Die Strafuntersuchung brachte auch Neuigkeiten zur Blocher-Demo: Mehrere Rechtsextreme sagten nämlich aus, die Polizei habe sie damals aufgefordert, Steine gegen die linken DemonstrantInnen zu werfen: «Als dann die Polizei mit Gummischrot ausgeschossen war, riefen sie, wir sollen die Steine zurückwerfen», zitierte Hans Stutz in der WOZ aus einem Einvernahmeprotokoll. Die Zürcher Polizeiführung hat diese Vorwürfe nie untersucht.

Den vollständigen Artikel zur «JA zur Schweiz»-Kundgebung (aus WOZ Nr. 39/95) finden Sie hier: www.woz.ch/artikel/archiv/13898.


Bis zu unserem Jubiläum werden wir eine kleine Auswahl der Highlights vorstellen, die in den letzten 24 Jahren in der jeweiligen Kalenderwoche in der WOZ erschienen sind. Diesmal ist Kalenderwoche 39 Anlass zum Rückblick auf die WOZ-Berichterstattung über eine nationalistische Kundgebung.