«Bitte rufen Sie die Polizei nicht an, wenn Sie das Gefühl haben, ein Fixer oder ein Dealer werde zu hart angefasst.» Mit dieser Bitte versucht zurzeit die Zürcher Stadtpolizei ihren speziell für die Lettenschliessung eingerichteten Telefondienst, der die Mitarbeit der Bevölkerung bei der Junkiehatz erleichtern soll, von nutzlosen Anrufen zu entlasten. Und der Chefredaktor des «Tages-Anzeigers», Roger de Weck, hat schon im Dezember anlässlich der Kommentierung des Vorgehensplans zur Auflösung der Drogenszene Letten die Grenzen seiner Toleranz erläutert: «Trotzdem wird es am Ort des Geschehens wohl nicht jedem Polizisten jederzeit gelingen, die Verhältnismässigkeit zu wahren. Das ist für alle Beteiligten ein Grund zur Wachsamkeit, aber gewiss kein Grund, beim ersten Missgriff über das Polizeikorps herzufallen.» Zurzeit ist die Räumung des Lettenareals in vollem Gang: Zürich schaut weg (de Wecks Zeitung auch). Der Rest der Schweiz sowieso. «Missgriffe» kommen vor, immer wieder, häufig nachts, bei Temperaturen unter null Grad Celsius.
• In der Nacht vom 2. auf den 3. Januar, so berichten übereinstimmend und unabhängig voneinander verschiedene Ausländer und ein Schweizer, seien sie um ein Uhr auf dem Kloster-Fahr-Weg über der Limmat (im Volksmund «Panoramaweg») kontrolliert worden, Dabei hätten sie sich nackt ausziehen müssen. Während sie mit erhobenen Händen dagestanden seien, habe man ihnen Pfefferspray auf die Genitalien gespritzt. «Als wir sie mit den Händen schützen wollten, sind wir mit Gummischrotgewehren geschlagen worden.» Die Kleider hätten die Polizisten über den dortigen Zaun aus messerscharfem Nato-Draht geworfen. Mehrere der Kontrollierten hätten beim Versuch, die Kleider wieder zu holen, Schnittwunden erlitten. Auf dem «Panoramaweg» habe man danach einer meterlangen Blutspur folgen können.
• Ein Schweizer, der in der gleichen Nacht an der angrenzenden Kronenstrasse gefilzt worden ist, habe sich nicht schnell genug angezogen. Deswegen habe die Polizei - eine vielfach bezeugte Schikane - einen seiner Schuhe und eine Socke weggeworfen.
• In der Nacht vom 11. auf den 12. Januar wird kurz nach Mitternacht auf dem Kloster-Fahr-Weg beim Werkplatz ein Ausländer von der Polizei kontrolliert. Er muss sich ausziehen. Ein Beamter zieht ihm mit dem Gummischrotgewehr die Unterhose herunter. Seine Schuhe und Socken werden weggeschmissen. Bei der Unterführung Langstrasse ist er später immer noch ohne Schuhe barfuss unterwegs: «Sie werden uns noch steinigen.»
• Kurz nach Mitternacht vom 14. auf den 15. Januar wird auf der Kornhausbrücke beim Abgang zur Badeanstalt Letten in aller Öffentlichkeit ein Ausländer verprügelt, obschon er schreit, er habe ein Ausweispapier: «J’ai une lettre.» Die Einsatzleiterin sagt: «Ein Ausländer ohne Papiere, abeschlaa.» Der Ausländer wiederholt, dass er Papiere habe. Die Einsatzleiterin befiehlt, dem am Boden Liegenden Handschellen anzulegen. Ein Polizist schlägt ihn mehrfach ins Gesicht. Später, als ein Schweizer zum Polizeifahrzeug gebracht wird, sagt die Einsatzleiterin: «Aufhören mit Schlagen, ein Schweizer kommt.»
Wie die Stadtpolizei mitten in der Stadt Zürich Tag für Tag Rechtsstaatlichkeit durchsetzt, lässt die Bevölkerung weitgehend kalt. Einheimische kommen noch am besten weg, Auswärtige werden zurückgeschafft, Ausländer haben Pech gehabt. Der Zürcher Polizeivorstand Robert Neukomm (SP) mag zu dieser Praxis gegenüber der WOZ bis Ende Monat in keiner Weise Stellung nehmen. Peter Niggli, Gemeinderat der Grünen Partei, jedoch kommentiert die aktuelle Polizeipraxis: «Das ist eine absolute Schweinerei.» Die Polizei müsse die Lettenschliessung ohne Übergriffe durchziehen. Allfällige Übergriffe seien streng zu ahnden.
Es gibt für eine offene Drogenszene in Zürich kein Verständnis mehr. Politisch ist da nichts mehr zu holen. Doch wenn eine Stadt über viele Jahre einen vernünftigen Umgang mit dem Drogenproblem nicht fertig bringt und schliesslich die offene Drogenszene nach halbherzigem Herumexperimentieren einmal mehr unsichtbar machen will, dann soll sie sich wenigstens um ein gesetzeskonformes Vorgehen bemühen. Eine Polizei, die der Bevölkerung nahelegt, nicht allzu genau hinzuschauen, ist die falsche Polizei, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Und ein SP-Polizeivorstand, der zur aktuellen Praxis schweigt, nicht mehr SP, sondern nur noch Polizeivorstand.
Spenden
Hat Ihnen dieser Text gefallen? Hat er Ihnen geholfen, Ihre Haltung zum
Thema zu schärfen, oder hat er Sie vortrefflich provoziert? Und was ist
Ihnen das wert? Unabhängiger Journalismus ist auf einen Beitrag vieler
angewiesen.
«Bitte rufen Sie die Polizei nicht an, wenn Sie das Gefühl haben, ein Fixer oder ein Dealer werde zu hart angefasst», bat die Zürcher Stadtpolizei im Januar 1995 die Zürcher Bevölkerung. Und Roger de Weck, damals Chefredaktor des «Tages-Anzeigers», erteilte den PolizistInnen die Generalabsolution mit der Bemerkung, «es werde wohl nicht jedem Polizisten gelingen, die Verhältnismässigkeit zu wahren». Angesichts der offenen Drogenszene am Letten und deren anstehender Räumung waren nicht aufmerksame BürgerInnen gefragt, die dem Staat und seinen Organen auf die Finger schauten.
Die Schweizerische Depeschenagentur tippte praktisch nur den Pressetext der Bündner Polizei ab. Der «Tages-Anzeiger» titelte «Massenkontrollen verhinderten Nachdemos». Der «SonntagsBlick» schrie: «An der Kundgebung in Chur hielten sich die Chaoten zurück. In Landquart zeigten sie ihr wahres Gesicht». Die «Neue Zürcher Zeitung» erkannte: «Mit kluger Taktik Eskalation verhindert». Und der «Blick» sah: «Wef-Chaoten schlugen wieder in Landquart zu». Auch die «Südostschweiz» quengelte: «In Landquart haben es rund 500 Wef-Demonstranten auf die Spitze getrieben.
Es war ein 1. Mai wie jedes Jahr in Zürich: Zuerst der grosse Umzug, dann für die meisten das gemütliche Fest im Kasernenhof und für die anderen die nicht so gemütliche Nachdemo. Doch 1996 wurde es für alle ungemütlich: «Die Zürcher Polizei hat mit einem an Brutalität bis anhin kaum gesehenen Einsatz die Nachdemo aufzulösen versucht und dabei Dutzende von Tränengaspetarden in den abgeriegelten Festhof geknallt», schrieb Patrik Landolt zwei Tage später auf der Titelseite der WOZ. «Mehrere Zeugen beobachteten, wie Polizisten gezielt über die Zeughäuserbauten in den Festhof schossen.
«Banken-Sound-Age» und «Bankverein kauft Pop und Jazz» war auf der ersten Seite der WOZ vom 6. März 1987 zu lesen. WOZ-Redaktor Patrik Landolt führte ein Interview mit Markus Bodmer, der beim Schweizerischen Bankverein für PR-Aktionen und Sponsoring verantwortlich war. Der Inhalt des Interviews gefiel weder den Wochen später zu Wort kommenden MusikerInnen, noch Bodmers Vorgesetzten beim Bankverein, die sich in einer Stellungnahme von Bodmer distanzierten.
Sind es in anderen Ländern Tabakfirmen oder Unterhaltungselektronikkonzerne wie «Sony» oder «Japan Victory», die sich die grossen Festivals von New Newport, Den Haag bis Nizza unter ihre Fittiche gerissen haben, ködern in der Schweiz nun die Banken mit ihrem sogenannten Sponsoring die Gunst der Öffentlichkeit. Im zunehmend härteren Konkurrenzkampf auf dem Finanzplatz Schweiz treiben die einzelnen Banken einen immensen Aufwand, um sich gegenseitig abzugrenzen und ein eigenes Profil zu erkaufen.