Auf der Redaktion einer dezidiert politischen Wochenzeitung ist das Triviale, das Private, das vermeintlich Harmlose das, was allenfalls dann noch aufs Tapet kommt, wenn sich alle bereits erschöpft mit der Zeitung der letzten Woche Luft zuwedeln. Ist auch verständlich: Befasst man sich mit dem Weltgeschehen, das ohne Pause mit absoluter Dringlichkeit nach Aufdecken! Analysieren! Kommentieren! schreit, ist das Private im Vergleich dazu bestenfalls ein «nice to have», etwas, das sich locker auf die nächste Ausgabe schieben lässt, oder die übernächste?
Schön, zu entdecken, dass «Sex», zumindest als Worthülse, dann doch in fast jeder WOZ-Ausgabe mindestens einmal stattfinden durfte. Manchmal warens auch echte Auseinandersetzungen mit Sexualität und Themenverwandtem. Anlass dazu gab es über die zweieinhalb Jahrzehnte hinweg immer wieder: HIV/Aids, Feminismus, Homosexualität, Queer-Theorien, Jugendkultur, Backlashs. Am häufigsten reflektiert und schliesslich auch medial betrachtet wurden diese Themen im Kulturressort. Fast kein WOZ-Kulturteil in all den Jahren, in dem nicht ein Film, ein Buch, eine Theateraufführung oder eine Platte Anlass gegeben hätten, einen, vielleicht nur flüchtigen, Gedanken an Sex zu verschwenden. Aber auch Martha Emmenegger, Mona Vetsch, Max Küng, Milena Moser, Peter Schneider und viele mehr hatten in der WOZ ihren Sexauftritt.
Richtig explizit wurde die WOZ 1993. Man fragt sich, dreizehn Jahre später, ja schon, wie es die beiden Redaktorinnen Daisy Sommer und Marie-José Kuhn damals geschafft haben, ein 27-köpfiges, mehrheitlich heterosexuelles Team dazu zu bringen, vor dem Weltgeschehen die Hosen runterzulassen, quasi eine ganze Woche lang. Aber so wars. «Texte über die angenehmen Seiten von Sex&Co. haben in den wenigsten Fällen News-Charakter, dennoch lesen wir sie meist mit mehr Neugierde und emotionalem Engagement als anderes», schrieb Kuhn im Leitartikel der Sex-WOZ, die am 20. August 1993 erschien. Dieser Einstieg in die Nummer, die Kuhn und Sommer «an der Redaktion vorbeiproduzierten» (Sommer), mag rechtfertigend klingen. Eins aber ist sicher: Über die Sex-WOZ redet man heute noch.
Was war, interessiert uns also, im Jahr 1993 der Stand des Sexdiskurses? «Wir haben keinen Trend zu vermelden, sondern viele», versprach Kuhn, «der individuelle Umgang mit Sexualität ist heute so verschieden wie eh und je.»
Kein Wunder, könnten diverse Texte der Sondernummer heute beinahe unverändert nochmals abgedruckt werden. Über die Frage «Wie über Sex reden?» sollte denn auch nicht zum letzten Mal in der WOZ sinniert werden. Sex respektive Sexunlust in Zeiten von Cyberkultur, Techno und Ecstasy: Immer noch zeitgemäss, man schaue sich nur mal die Titel aktueller Ratgeber an. HIV: dito. Natürlich fehlte in der Sex-WOZ die Politik nicht gänzlich. Lotta Suter ging auf die Suche nach dem kleinen Unterschied zwischen Christiane Brunner und Ruth Dreifuss. Die Nichtwahl von Brunner hatte sich im März desselben Jahres ereignet. «Das Private ist politisch!», zitierte die Autorin gleich im ersten Satz das Statement der 68er-Generation, das bewegte Frauen schon bald gegen ihre linken Macker wendeten. Wie politisch das Private auch sein kann, darum gings in der Analyse, respektive: Weshalb durfte Dreifuss und Brunner nicht? Vier Seiten weiter vorne, nämlich an zweitprominentester Stelle, bot die Sex-WOZ Handfestes. Bericht eines Schweizer Homosexuellen zu seinen erotischen Erlebnissen in Kairo: «Sie alle sind bedeutend angenehmer, wenn Du ein Bakschisch springen lässt, und Du hast weniger Mühe, Deine Zeit statt im Kinosaal auf der Toilette zu verbringen, wo’s schwer abgeht, vom harmlosen Pissrinnen-Wixen übers Blasen bis hin zum Ficken sur place.» Dass der anonyme Autor dem Sextourismus huldigte und erst am Schluss noch die Kurve kratzte, was die HIV/Aids-Thematik anbelangte, mutet, zumindest retrospektiv, etwas seltsam an. Auch komisch ist, dass die Papst-WOZ (Juni 2004) nur so vor Sex strotzte. Aber so wie das Private, bleibt eben auch das Religiöse politisch.
Wer mehr heissen Stoff lesen will, kann eine Kopie der kompletten Sex-WOZ von 1993 bestellen (5 Franken, inkl. Porto). Senden Sie eine E-Mail mit Ihrer Adresse und dem Betreff «Sex-WOZ» an woz@woz.ch, oder rufen Sie uns an: 044 448 14 14.
Bis zu unserem Jubiläum im Herbst werden wir eine kleine Auswahl der Highlights vorstellen, die in den letzten 24 Jahren in der jeweiligen Kalenderwoche in der WOZ erschienen sind. Diesmal ist Kalenderwoche 33 Anlass, sich mit dem Sexleben in der WOZ auseinanderzusetzen.Die vollständigen Texte von Lotta Suter und Daisy Sommer aus der Sex-WOZ (Nr. 33/93) finden Sie hier:
Hat Ihnen dieser Text gefallen? Hat er Ihnen geholfen, Ihre Haltung zum
Thema zu schärfen, oder hat er Sie vortrefflich provoziert? Und was ist
Ihnen das wert? Unabhängiger Journalismus ist auf einen Beitrag vieler
angewiesen.
Die Schweizerische Depeschenagentur tippte praktisch nur den Pressetext der Bündner Polizei ab. Der «Tages-Anzeiger» titelte «Massenkontrollen verhinderten Nachdemos». Der «SonntagsBlick» schrie: «An der Kundgebung in Chur hielten sich die Chaoten zurück. In Landquart zeigten sie ihr wahres Gesicht». Die «Neue Zürcher Zeitung» erkannte: «Mit kluger Taktik Eskalation verhindert». Und der «Blick» sah: «Wef-Chaoten schlugen wieder in Landquart zu». Auch die «Südostschweiz» quengelte: «In Landquart haben es rund 500 Wef-Demonstranten auf die Spitze getrieben.
«Bitte rufen Sie die Polizei nicht an, wenn Sie das Gefühl haben, ein Fixer oder ein Dealer werde zu hart angefasst», bat die Zürcher Stadtpolizei im Januar 1995 die Zürcher Bevölkerung. Und Roger de Weck, damals Chefredaktor des «Tages-Anzeigers», erteilte den PolizistInnen die Generalabsolution mit der Bemerkung, «es werde wohl nicht jedem Polizisten gelingen, die Verhältnismässigkeit zu wahren». Angesichts der offenen Drogenszene am Letten und deren anstehender Räumung waren nicht aufmerksame BürgerInnen gefragt, die dem Staat und seinen Organen auf die Finger schauten.
«Habe mein Volontariat auf der WoZ beendet. War den Dezember über dort. Hat mir gefallen. Klima gesund, d.h. manchmal rauh. (Aber nicht, weil ein Verleger murrt oder die Geschäftsleitung eingreift.) Lohn schlecht, aber genügend. Man wird nicht bewundert, sondern gebraucht. Anregungen den ganzen Tag. Viel schöner Streit, keine Gallenkoliken. Bin gefördert worden, konnte auch paar An-Stösse geben. Fast keine Hierarchie. Trotzdem oder deswegen Kritik (gegenseitig) in der Redaktion; meist von der bekömmlichen Art. Entwicklungsmöglichkeiten.»
Jedes Jahr die gleiche Frage: Wie den 1. August begehen beziehungsweise verbringen? Mit einer feinen Wurst wenigstens, inmitten des Lichtgewitters und Raketengeheuls, daheim oder etwa gar nicht?
«Von Walter Stürm, z.Zt. Untersuchungsgefängnis Sion», lautet die Autorenzeile des Textes «Ich kam mir vor wie ein Goldtransport» aus der WOZ Nr. 6 vom 9. Februar 1990. Walter Stürm, berühmt geworden als «Ausbrecherkönig», beschreibt die «Strapazen einer Auslieferung». Am 30. Juni 1989 war Stürm in seinem Appartement im Küstenort Valle Gran Rey auf der Kanarischen Insel La Gomera verhaftet worden. Damit war seine siebte Flucht zu Ende. Nach seiner Auslieferung Ende Januar 1990 beschrieb Stürm der WOZ in einem Brief die Auslieferung.