Aus WOZ Nr. 32/1997 (8. August 1997): Eine Königin für die Expo 2001

Nr. 28 –

Den Dialog mit den Medien suchte Pipilotti Rist, Multimedia-Künstlerin, auf ihre Weise: Sie richtete auf Internet eine «Discussion-Line» ein. Mit der WoZ sprach die neu ernannte künstlerische Leiterin der Expo 2001 live.

WoZ: Expo 2001. Was sagte Ihnen der Begriff im Sommer 1996?

Pipilotti Rist: Gar nix!

Wie kam es, dass Sie sich mit der Expo 2001 befassten?

Eines Tages rief mich der directeur général der Expo, Jacqueline Fendt, an und wollte mich treffen. Als ich ihr in meinem Atelier ein Bier anbot, hatte ich keine Ahnung, worum es ging. Als erstes fragte sie mich, was «die Schweiz» für mich bedeute. Da sagte ich «Heimat» und dass mir Heimat sehr wichtig sei. Ich leide darunter, dass ich nicht mit einem gesunden Stolz zur Schweiz stehen kann. Wir Intellektuellen haben ein gebrochenes Verhältnis dazu, weil wir uns von der Selbstgefälligkeit und der Überheblichkeit distanzieren wollen, mit der sehr viele Schweize-rinnen und Schweizer ökonomische Vorteile beanspruchen, als wären sie ihr Verdienst. Als nächstes erklärten mir Madame Fendt und der Architekt Paolo Ugolini die Expo 2001 in einer Art, die mich begeisterte. Ich habe echt gestaunt und war entzückt, dass sie den Mut zu einem solchen Wurf haben. Sie distanzieren sich explizit vom Geist der sechziger Jahre mit ihrem blinden Zukunftsvertrauen und vermeiden alles, was nach Verkaufsmesse riecht.

Wir diskutierten ein bisschen, und dann fragt mich Madame Fendt, ob ich directeur artistique der Expo werden wolle. Ich musste mich unter dem Tisch ins Bein kneifen, weil ich dachte, ich träume! Es kam völlig unerwartet.

Haben Sie sofort zugesagt?

Nein. Ich habe es mir eine Woche lang überlegt und mich mit meiner Familie und den engsten Freunden beraten. Und dann sagte ich unter Tränen ab.

Warum unter Tränen?

Ich fühlte mich als Feigling und Schlappschwanz. Es beelendete mich, dass mir das, was in den Köpfen der Direktionsmitglieder herumschwirrt, zu utopisch schien. Mir, die nicht immer zuerst an Machbarkeit und Kompromisse denkt! Ich hoffte, dass ganz schnell jemand anders ernannt würde.

Wie kam es zum Meinungsumschwung?

Ich hörte nicht auf, der Expo-Idee nachzuhängen. Es arbeitete in mir immer weiter. Im Traum soll ich sogar Französisch gesprochen haben. Ich nahm meine Umwelt wie unter einem Prisma wahr. Ich beobachtete die Leute auf der Strasse, in den Warenhäusern. Da fuhr mir die Trennung in Klassen, in Bildungsklassen, noch mehr als sonst ein. Ich bin in der Welt der Kunst gelandet, ohne dass ich dorthin wollte. Diese Welt ist zwar wunderbar, aber man lebt dort isoliert, in einem geschützten Bereich. Man darf sogar verrückt oder kritisch sein, aber nur, solange man nicht stört und keine Wirkung hat. Ich habe mich auf meine Jugend zurückbesonnen und auf meinen Wunsch, etwas zu verändern. Das ist nicht hochtrabend gemeint. Aber mir wurde plötzlich bewusst, dass ich nicht einfach arbeiten will, damit mich reiche Leute sammeln können.

Und dann hat man Sie noch einmal angefragt?

Nein, ich habe mich nach zwei Wochen selbst wieder gemeldet. Diesmal war es ein einsamer Entscheid. Madame Fendt sagte, ich sei ihre Traumfrau, und dann gehe sie doch nicht einfach mit jemand anderem ins Bett!

Hängt Ihre Zusage wesentlich mit Jacqueline Fendt als Person zusammen?

Ja, sie überzeugt mich. Ihre Argumentation leuchtet mir ein, und sie hat eine wahnsinnige Kraft. Sie ist für mich die Garantie, dass die Expo 2001 machbar ist.

Nach Ihrer Wahl war bereits von einer «Expo au féminin» zu lesen. Wird die Expo unbeschreiblich weiblich?

(Lacht.) Ich hoffe beschreiblich weiblich! Für mich ist das logisch. Es müsste als selbstverständliche Messlatte gelten. Ich hoffe aber, dass es gar nicht so stark thematisiert wird.

Sie bezeichnen sich selbst als Feministin. Tragen Sie dieses Label ungeniert?

Ich sage es nur, wenn man mich fragt. Man muss gar nicht darüber diskutieren. In meinem privaten Leben sorge ich dafür, dass ich nicht mit blöden Männern zu tun habe. Privat muss ich also gar keine Feministin sein. Aber ich bin Feministin, weil ich erstens dankbar dafür bin, was andere schon erkämpft haben, damit ich das machen kann, was ich mache. Und zweitens weil es in der Arbeitswelt noch sehr viel zu tun gibt in Sachen Gleichberechtigung. Was mich ausserhalb dieser festgefahrenen Begriffe interessiert, sind weibliche und männliche Rollen in einem Jahrhundert, wo sich vieles in Auflösung befindet. Viele gute Frauen und Männer leben neue Rollen vor, aber die Bilder, die hinken der Realität weit hinten nach. Rollenklischees müssen vor allem durch Bilder, durch eine andere Körperpräsenz aufgebrochen werden.

Ihnen ist das ja selbst gelungen, indem Sie mit übersteigerten traditionellen Rollenbildern arbeiten.

Ich will ja meine Selbständigkeit nicht mit einer Vermännlichung erkaufen. Mich interessiert die weibliche Kultur. Ich möchte ein Teil der Bewegung sein, die fragt: Was wollen wir an weiblichen Attributen kultivieren und was können wir über Bord werfen? Für mich ist klar: Jede normale, gescheite Frau muss Feministin sein, sonst ist sie verlogen. Aber sich zum Feminismus zu bekennen, sollte nicht zum Outing werden. Das wäre defensiv, wie wenn man eine Schwäche eingestehen würde.

Wo stehen Sie im Spannungsfeld von Blochers Schweiz, der offiziellen Schweiz und einer Schweiz der Linken?

Mein Anliegen ist, keine Kraft und Intelligenz für Kämpfe zu gebrauchen, die unnötig sind.

Diese Kämpfe sind aber ein Stück Schweizer Realität.

Ja, aber ich verabscheue Schuldzuweisungen und Auseinandersetzungen, die komplexe Sachverhalte versimpeln. Wo ich geboren bin, ist ein Zufall. Ich bin dem Schicksal dankbar, dass ich in einer privilegierten Situation lebe. Aber diese Dankbarkeit verpflichtet mich, meine Privilegien nicht für mich allein in Anspruch zu nehmen. Auch wenn es banal tönt: Ich möchte, dass sich die Schweiz öffnet. Dazu gehört auch die Ausländerfrage.

Wenn von schweizerischer Identität und von der Expo die Rede ist, tönt oft so etwas an wie: «Die Schweiz den Schweizern» oder «Die Expo den Schweizern». Wie gehen Sie damit um?

Die Schweiz, das sind auch eine Million ausländische Mitbewohner. Ohne sie würde die Schweiz gar nicht funktionieren. Sie gehören einfach zur Schweiz. Sie sind wir. Sie sollen auch in der Expo eine wichtige Rolle spielen. Für mich sind Staaten, und ganz besonders die Schweiz, intellektuelle Konstrukte: Wir haben uns gesagt, wir gehören zusammen, obwohl wir verschiedenen Kulturen angehören und verschiedene Sprachen sprechen. Mit dieser Idee bin ich aufgewachsen. Mein Vater ist ein umgekehrter Rassist, das ist genauso schlimm wie ein «richtiger» Rassist: Er findet alle Ausländer besser als die Schweizer.

Was halten Sie von der Forderung, die Expo müsse so etwas wie eine nationale Identität stiften?

Daran ist a priori nichts auszusetzen. Denn es ist ein urmenschliches Bedürfnis, eine Identität zu haben. Und Identität schafft man nur über die Gemeinschaft. Sie wird über das Andere definiert. Mich interessiert eine nationale Identität, die Schwachstellen und Widersprüchlichkeiten zulässt, die nicht ausgrenzt und nicht borniert ist. Doch müssen wir mit der Expo nicht unser Land retten. Aber wenn wir einen Beitrag an ein Gemeinschaftsgefühl leisten könnten, wäre das wunderbar. Und auch, wenn die Leute mit ein bisschen Glücksgefühl heimgingen.

Zählen Sie sich zur Opposition?

Ich fühle mich gar nicht in der Opposition! Es ist viel heilsamer, sich nicht in der Defensive zu empfinden, wenn man von etwas überzeugt ist. Ich glaube von Herzen an die Zukunft der Schweiz. Wenn ich gewisse Dinge sage, so nicht, um damit Kontroversen zu entfachen. Ich möchte meine Energie viel lieber für konstruktive Vorschläge einsetzen. Zum Beispiel: Was haben wir nach dem Untergang der gängigen Utopien noch zu bieten? Wo müssen wir ansetzen? Das Problem sind nicht die politischen Systeme, sondern das eingefleischte egoistische Denken.

Wirken Sie in Ihrer Funktion als directeur artistique in erster Linie als Koordinatorin und Administratorin, oder sind Sie auch als Künstlerin angesprochen?

Es werden keine Arbeiten von mir ausgeführt. Ich gehe nicht hin und mache eine Videoinstallation. Aber meine Aufgabe ist ebensowenig rein administrativ. Ich bin in allen Bereichen auch an der inhaltlichen Gestaltung mitbeteiligt. Das gilt übrigens für alle administrativen Posten. Wir gehören alle zur direction culturelle, auch der Finanzverwalter und der Architekt. Die Expo ist ein Gemeinschaftswerk.

Wie gross ist Ihr Spielraum in der konkreten Gestaltung?

Der hängt von meiner Qualität ab. Davon, wie gut ich kommunizieren und andere fördern und sie im richtigen Moment auch wieder loslassen kann.

Verstehen Sie sich als Animatorin der Künstlerinnen und Künstler, die Projekte ausführen?

Ja. Ich möchte Katalysator sein. Ich möchte, dass ein kollektives Werk entsteht. Alle können mitmachen, alle können ihre Vorschläge präsentieren. Dann werden Leute zusammengeführt, die noch nie daran gedacht haben zusammenzuarbeiten: Wasserbiologinnen mit Musikern oder Soziologen mit

Managerinnen. Ich habe als Künstlerin oft Momente erlebt, wo ich darüber hätte weinen können, wie gut ein Werk ist, und wie schlecht es präsentiert wurde. Meine Aufgabe wird sein, wissenschaftliche und soziale Projekte ebenso wie Kunstwerke dem Publikum zugänglich zu machen, ohne sie zu banalisieren und ohne in Didaktik zu verfallen. Eine gute Künstlerin muss ihre Ideen und Anliegen so zeigen, dass sie das Herz der Betrachter trifft.

Dazu schaffen Sie den Rahmen, das Umfeld?

Ja, das gehört zum Konzept. Und mir leuchten die erwähnten unerwarteten Partnerschaften auch ungeheuer ein. Es gibt Leute, die haben wunderbare Ideen, vermögen ihnen aber keine Form zu geben. Und andere sind supergute Gestalter, haben aber keine Ideen. Das gleiche gilt für die Ressourcen: Ich möchte Talent und Geld zusammenführen.

Die Idee der kollektiven Werkschöpfung haben Sie schon oft selbst praktiziert.

Dass ich das an der Expo auch tun kann, ist ein Grund, warum ich diese Aufgabe angenommen habe. Ich möchte nicht weiter am Personenkult der bildenden Kunst basteln.

Am Ende ist es aber doch Pipilotti Rist, die im Mittelpunkt steht. Oder könnte es sein, dass man Sie an diesen Posten berufen hat, um ein ganzes Netz voller Fische an Land zu ziehen?

(Lacht.) Soll ich das als Kompliment verstehen? Die Verantwortlichen der Expo wissen genau, wie ich arbeite und wie ich mich organisiere. Darum glaube ich nicht, dass ich für mich alleine, isoliert, gewählt worden bin, sondern weil ich einen gewissen Geist vertrete und lebe: Wir sind kollektive Arbeiter.

Wie hat Ihre engste Umgebung auf Ihre Nomination reagiert?

Sie hatten Angst, dass ich zugrunde gehen würde an erstarrten Denkweisen, an Engstirnigkeit. Dadurch, dass ich den Posten angenommen habe, habe ich ihnen bewiesen: Mein Glaube ist stärker als meine Angst. Nun stehen sie hinter mir und dem ganzen Expokonzept. Aber es brauchte schon ein bisschen Überzeugungsarbeit.