WOZ Nr. 12/82 (26. März 1982): Forestier - Wolf im Diplomatenpelz

Nr. 12 –

Am Montag vergangener Woche hat der Bundesrat die Neubesetzung des Botschafterpostens von Chile durch den ehemaligen Vize-Armeechef Carlos Forestier Haensgen gutgeheissen. Forestier, ein intimer Kumpane Pinochets, der schon mal als dessen Nachfolger gehandelt wurde, soll nach Beweisen, die der WoZ vorliegen, die Ermordung chilenischer Politiker angeordnet haben und in den Mordfall Letelier verwickelt gewesen sein.

Wie Chilebesucher Philippe Lévy, für Lateinamerika zuständiges Direktionsmitglied des Bundesamtes für Aussenwirtschaft, gegenüber der WoZ bestätigte, hat offenbar Protokollchef Hans-Jakob Kaufmann die Akkreditierung von Forestier behandelt und an dessen Dienstherrn, Bundesrat Pierre Aubert, weitergeleitet. Kaufmann und Aubert sowie dessen Bundesratskollegen scheinen sich an der «berüchtigten» Prominenz des Chilenen nicht gestossen zu haben. Dass Forestier, der aufgrund seiner besonders loyalen Haltung während des Putsches vom 11. September 1973 von Pinochet zu dessen Stellvertreter in der Armeeführung ernannt wurde, kein unbedeutender «Fisch» ist, dürfte zumindest in Diplomatenkreisen aufgefallen sein. Und dass Forestier - wie der in Rom lebende Exilchilene Raoùl Ampuero, der zu Allendes Zeiten als Senator die Beförderung chilenischer Militärs begutachtete, gegenüber der WoZ bekräftigte - schon immer ein intimer Freund Pinochets gewesen sei, hätten Auberts Berater auch herausfinden können.

Welche Rolle spielte Forestier während des Putsches 1973?

Ein Gewährsmann der WoZ hat Beweise dafür, dass Carlos Forestier zur Zeit des Putsches Chef der «Zona de Emergencia» (Notstandsgebiet) in der chilenischen Nordprovinz Tarapacá war und dort die 6. Division der Landstreitkräfte, die in Iquique stationiert war, kommandierte. Forestier war für die Folterungen, die im Konzentrationslager von Pisagua, sowie in den Militärstationen und in den Gefängnissen der Provinz Tarapacá begangen wurden, verantwortlich.

Auch wird Forestier und seinem Assessor, Staatsanwalt und Justizgeneral Mario Acuña Riquelme, angelastet, die Folterung all jener Soldaten, die sich nicht am Putsch beteiligen wollten, veranlasst zu haben. 11 davon seien auf ihren Befehl hin erschossen worden. Überdies hätten Forestier und Riquelme es zugelassen, dass die Streitkräfte Raub, Mord und Vergewaltigungen an der Zivilbevölkerung begingen. Auch sollen die beiden einen schwunghaften Handel mit Kokain betrieben haben.

Forestier hat nach dem Putsch die Exekution vieler politischer Gefangener verfügt. Auf seine Anordnung hin wurden namentlich Fredie Paderna, führendes Mitglied der Sozialistischen Partei Chiles, Juan Valencia, Funktionär der chilenischen KP, José Cordova, Funktionär des Movimiento de Accion Popular Unitario (MAPU), Umberto Ligardi, Funktionär des Movimiento de lzquierda Revolucionaria (MIR), Norberto Caña, Julio Cabezas, Juan Antonio Paz, Oswaldo Sanson, Manuel Fuenzalida, Marcello Guzman, José Palominos und Sergio Morris.erschossen.

Verwicklungen im Mordfall Letelier

Die vom Berliner Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL) herausgegebenen «Lateinamerika-Nachrichten» (vormals «Chile Nachrichten») decken weitere üble Machenschaften Forestiers auf: Am 21. September 1976, als der ehemalige Aussenminister unter Allende, Orlando Letelier, durch das Botschaftsviertel in Washington fuhr, wurde per Funk-Zündung eine unter dem Sitz seines Autos versteckte Plastikbombe zur Explosion gebracht. Letelier starb, ebenso die neben ihm sitzende Mitarbeiterin des von ihm geleiteten Instituts für internationale Politische Studien, Ronnie Moffit. Letelier hatte nach dem Putsch anderthalb Jahre in den Konzentrationslagern auf der Insel Dawson und in Ritoque verbracht, ehe er auf internationalen Druck freigelassen wurde und in die USA exilierte. Sein Tod passt in eine Serie von Mordfällen und Attentaten (zum Beispiel der Mord an General Prats am 30.9.74 in Buenos Aires und das Attentat auf den nach Rom exilierten Christdemokraten Bernardo Leighton vom 6.10.75), die vom chilenischen Geheimdienst Dina im Ausland begangen wurden. Die Ermittlungen der amerikanischen Behörden (Rosalynn Carter soI1 sich persönlich um die Aufklärung des Mordes an Letelier bemüht haben) ergab, dass der «Hauptgegner der Regierungsjunta im Ausland» (so ein geheimes Dina-Schreiben) von zwei Agenten der Dina, nämlich von Juan Williains Rose alias Michael Townley Welch (Dienstpass Nr. 527) und von Alejandro Romeral Jara alias Armando Fernandez Larios (Dienstpass Nr. 528/74) ermordet worden war.

Weitere Nachforschungen führten zu einem Protokollchef im chilenischen Aussenministerium namens Carlos G. Osorio Mardones. Er hatte die Dienstpässe und die offiziellen Visaanträge unterschrieben und konnte folglich sagen, wer die Pässe bestellt hatte. Osorio kam am 22.10.77, also noch während den laufenden Untersuchungen, unter mysteriösen Umständen ums Leben. Bei einer Reise nach Washington im Sommer 1977 waren ihm Akten der Letelier-Untersuchung vorgelegt worden: Osorio sollte aussagen, was er über den Fall wisse. Osorio beteuerte, er habe die Pässe in bestem Glauben unterzeichnet, und beklagte sich nach seiner Rückkehr bei seinen Vorgesetzten, dass man ihn für ein Mordkomplott missbraucht habe.

Osorio wurde zuletzt bei einem Empfang für peruanische Regierungsgäste am Vorabend seines Todes gesehen. Danach wurde er von Ex-Dina-Chef General Manuel Contreras, dem heutigen Vize-Aussenminister Valdés Puga, dem Verwaltungsdirektor des Aussenministeriums, Luftwaffenoberst Lavin und Forestier nach Hause gefahren. Nach Darstellung chilenischer und ausländischer Zeitungen (zum Beispiel «Spiegel» Nr. 18/78) soll Osorio auf dieser Fahrt erschossen worden sein. Einen ähnlichen Tathergang schilderte der Korrespondent der «Basler Zeitung», Manfred von Conta in der «Süddeutschen Zeitung» vom 19.7.78: «Nachdem Osorio Freunden noch triumphierend als Ergebnis seines Erpressungsversuches die bevorstehende Ernennung zum Botschafter in Wien hatte melden können, wurde er (von den Generalen Contreras und Forestier an einem Oktoberabend des Jahres 1977 nach Hause geleitet) mit einem Schuss in der Stirn tot an seinem Schreibtisch aufgefunden - ein ‹Selbstmord›, der durch hastiges Verscharren der Leiche ohne die amtlich vorgeschriebene Obduktion verschleiert wurde und nun zu den Dingen gehört, welche die Justiz der USA gerne aufgeklärt sähe.»

Die Witwe von Osorio gab damals an, dass Forestier - ein enger Bekannter der Familie und Insider in Passgeschäften (Forestier bekleidete unter Pinochet auch den Posten des Chefs der Kriminalpolizei, die für die Ausstellung der Pässe verantwortlich ist) - unmittelbar nach dem «Selbstmord» bei ihr eingetroffen sei und veranlasst habe, dass die Leiche ohne die vorgeschriebene Obduktion begraben wurde. Auf Drängen der Familie und der US-Behörden wurde Osorios Leiche dann doch exhumiert. Das Ergebnis: Tod durch Erschiessen aus einem für einen Selbstmord untypischen Schusswinkel. Dina-Chef Contreras wurde von Pinochet nach Bekanntwerden des «Selbstmordfalles» abgesetzt und vor ein Militärgericht gestellt. Forestier - ein enger Vertrauter von Pinochet - wurde laufen gelassen.

Swiss Connections?

Die Neutralität und die scheinbare politische Ruhe machen die Schweiz zu einem idealen Ort für Geheimdienste von Diktaturen, welche von hier aus ihre Gegner in aller Welt verfolgen. Die Enthüllungen über die Aktivitäten der persischen politischen Polizei, Savak, sind noch in bester Erinnerung.

Dass die Schweiz in der Vergangenheit nichts gegen die Anwesenheit amerikanischer Geheimdienstler hatte (und wohl auch in Zukunft nicht hat), zeigte sich bei der Akkreditierung von Ex-US-Botschafter Nathaniel Davis im Herbst 1975. Seine Nominierung wurde trotz heftigem Protest der Linksparteien inklusive SPS und dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund aufrechterhalten. Davis, der nach einem Bericht der amerikanischen Senatskommission an den geheimen amerikanischen Aktivitäten in Chile von 1963 bis 1973 (!) beteiligt war und den Sturz Allendes mitverantwortete, soll nach Enthüllungen des ehemaligen CIA-Agenten Philipp Agee die Aktivitäten von über sechzehn amerikanischen Geheimdienstlern in Genf, Zürich und Bern überwacht, vielleicht sogar koordiniert haben.

Forestiers nicht zu übersehende Nähe zu Pinochets Geheimdienst lässt zumindest vermuten, dass die Schweiz offenbar kein schlechter Umschlagplatz für chilenische Geheimaktivitäten gegen Junta-Gegner bietet. In Genf wurden zu bestimmten Zeiten bekannte Gesichter wie Juan Luis Ossa Bulnes gesehen, der eine hochrangige Position im chilenischen Geheimdienst innehat, oder die Gebrüder Melgosa Garay, Miturheber des Attentates gegen den chilenischen General Schneider im Jahre 1970.

Exilchilenen fürchten denn auch, dass durch die Anwesenheit chilenischer «Diplomaten» vom Kaliber eines Forestier die Umtriebe chilenischer Attentäter auf schweizerischem Boden zunehmen werden. Sind die schweizerischen Sicherheitsorgane in der Lage, das Leben der bei uns weilenden Exilpolitiker, wie das von dem in Genf lebenden christdemokratischen Führers Radomiro Tomic, der auf der «Schwarzen Liste» des chilenischen Geheimdienstes steht, zu schützen?

Die Geschichte der in Genf montierten Helikopter, auf welchen eigens hergekommene Offiziere der chilenischen «Carabineros» Probeflüge über dem Genfersee unternahmen, oder das Training von chilenischen Kampfpiloten auf den von Bührles Tochter Pilatus Flugzeugwerke Stans hergestellten Pilatus Portern im Tessin, welche der Bekämpfung von Guerillanestern dienen, weisen nicht gerade in diese Richtung.


Nationalrat Walter Renschler zur Akkreditierung Forestiers

jf. «Allein schon von seiner Funktion als chilenischer Verteidigungsminister her wäre es geboten gewesen, auf das Akkreditierungsgesuch nicht einzutreten und es solange liegenzulassen, bis Chile einen anderen Botschafter vorgeschlagen hätte», erklärte SP-Aussenpolitiker Walter Renschler gegenüber der WoZ in einem ersten Kommentar zur Akkreditierung von Forestier, die dem Bundesrat von Genosse Pierre Aubert beantragt worden sei. «Egal was man Forestier auch immer zur Last legen kann - es ist sicher nicht von der Hand zu weisen, dass Forestier ein engster Vertrauter von Pinochet ist, sonst wäre er nicht Verteidigungsminister und damit in direktester Form mitverantwortlich für das Militärregime von Chile.» Nationalrat Renschler sieht keine Indizien dafür, dass Forestier abgeschoben oder auf einen ruhigen Altersjob entlassen worden sei. Auch gelte Forestier nicht als Mann der Wirtschaft, der in Bern für eine kulante Schuldentilgung eingesetzt werden könnte. Forestiers Lebenslauf lasse vielmehr die Annahme zu, «dass Chile in Bem einen europäischen Stützpunkt für illegale-offizielle Aktionen gegen oppositionelle Chilenen in Europa errichten möchte», vermutet Renschler. Immerhin gelte «die Schweiz als beliebter Stützpunkt für paramilitärische und nachrichtendienstliche Operationen».