Der Imperialismus produziert seine Wiedergänger: Das amerikanische Attentat

Nr. 37 –

Der Tag, an dem der WOZ-Betrieb vorübergehend zusammenbrach, war ein Dienstag. An Dienstagen ist die WOZ jeweils fertig geplant, die hinteren Bünde sind (hoffentlich) fast fertig, und auch aus dem «Schweiz»- und dem «International»-Bund sollte schon einiges da sein. So war es auch am Dienstag, dem 11. September 2001. Doch dann kamen die News, und das gesamte Büro versammelte sich im Sitzungszimmer vor dem Fernseher, der stundenlang dieselben Bilder des brennenden, kollabierenden, schwarz rauchenden World Trade Center zeigte.

Nach der ersten Sprachlosigkeit begannen die wilden Diskussionen, und in den folgenden 24 Stunden krempelten Redaktion, Layout und Korrektorat in einer Marathonübung die fertig geplante Nummer um. Und machten ihren Job ziemlich gut: Viel mehr Erkenntnisse brachten auch die unzähligen Medienberichte in den nächsten Wochen nicht zutage. Im Leitartikel schrieb Michael Stötzel: «Der wahnsinnige Kämpfer gegen US-Imperialismus und Globalisierung hat seine eigene, aber gar nicht so private Konsequenz aus einem wahnsinnigen System gezogen. (...) Das Grauen von Soweto oder Lima, Gaza, Kabul oder Bombay ist für ein paar Tage, ein paar Wochen auch in Manhattan allgegenwärtig. Dann kehrt es zurück, mit den von US-Präsident George Bush bereits angekündigten Bomben und Granaten, mächtiger denn je.»

Hans Hartmann analysierte die Folgen der Anschläge für die militärische Weltordnung («eine neue Zweiteilung in ein Reich der Freiheit und ein Reich des Bösen»), Armin Köhli schrieb über die Reaktionen der AraberInnen, Wolfgang Hafner über die Auswirkungen auf die Finanzmärkte («Moderne SpekulantInnen brauchen nur eins: Bewegung an der Börse. Und sie bewegt sich.»). Patrik Landolt berichtete aus New York, wo er sich zufällig gerade aufhielt, Lotta Suter aus ihrem Wohnort bei Boston über die Stimmung in den USA.

Noch einmal zum Leitartikel. Die Schadenfreude, die viele im ersten Moment empfanden (auch wenn sie es später nicht zugaben), steckte Stötzel nicht an: «In jedem Fall demonstrieren diese AntiimperialistInnen damit aber, wie nahe ein Teil der weltweit anzutreffenden Gegnerschaft schon an die Schwelle des Schlimmsten gekommen ist, was ihr passieren kann: dass die Verzweiflung durch politische Aktion nicht mehr aufzuhalten und schon gar nicht aufzufangen ist, dass von Utopien nur noch der Traum des grossen Untergangs geblieben ist. Die jetzt einsetzende politische Diskreditierung aller GegnerInnen des Weltsystems wird jede Bewegung schwächen. (...) Die Brandmarkung derer, die schwarze Klamotten lieben oder Schaufenster einschmeissen, als Terroristen auf dem direkten Weg nach Manhattan wird die Spaltung unter den AktivistInnen beschleunigen.» Er hatte Recht. Der Sommer von Genua, wo zwei Monate zuvor mehrere Hunderttausend gegen den G8-Gipfel demonstriert hatten, war am 11. September endgültig vorbei.

Die Spaltung war schon unterwegs: Auf Seite 3 schrieb Johannes Wartenweiler über den Arbenz-Bericht, der kurz zuvor erschienen war. In jenem Bericht gab der «Troubleshooter» Peter Arbenz der Bündner Regierung Tipps, wie sie am besten mit der Anti-Wef-Bewegung fertig würde: «Gruppen und Organisationen, die erkennen lassen, dass sie dem Wef und dem Globalisierungsthema nicht dialog-, sondern vielmehr gewaltorientiert gegenüberstehen», sollten vom Rest der Bewegung abgespalten werden. Für die klare Trennung müssten die «Dialogbereiten» selber sorgen: «Die Basisbewegungen sind daher gehalten, ihre Dialogbereitschaft unmissverständlich zu signalisieren und sich zu einem eindeutigen Gewaltverzicht zu verpflichten.» In den folgenden Jahren hatte Arbenz’ Strategie immer wieder Erfolg.

Bis zu unserem Jubiläum im Herbst werden wir an dieser Stelle eine kleine Auswahl der Highlights vorstellen, die in den letzten 24 Jahren in der jeweiligen Kalenderwoche in der WOZ erschienen sind. Diesmal ist Kalenderwoche 37 Anlass zum Rückblick auf die WOZ-Berichterstattung unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September 2001.

Zum vollständigen Text von Michael Stötzel

Siehe auch das Dossier USA im Krieg