WOZ Nr. 7/89 (17. Februar 1989): Eidgenossen feiern Kriegsausbruch!

Nr. 7 –

Die Schweiz ist wohl das einzige Land in Europa, das nicht das Ende des Zweiten Weltkriegs feiert, sondern dessen Ausbruch: «Diamant» ist der Deckname eines anrollenden EMD-Werbefeldzugs, der die Schweiz vor allem in den Monaten August und September dieses Jahres mit Erinnerungsfeiern, Wanderausstellungen und anderen Publikumsgrossveranstaltungen (erwartet werden gegen zwei Millionen Besucherlnnen) eindecken wird. Anlässlich der 50. Jährung des Landigeistes und der Mobilmachung vom 1. September 1939 soll der Wehrwille des Schweizer Volkes restauriert werden - nicht zuletzt im Hinblick auf die Abstimmung über die GSoA-Armeeabschaffungsinitiative vom 26. November 1989.

Weil der Gesamtbundesrat in letzter Zeit andere Sorgen kannte, wartet das «Diamant»-Projekt zurzeit noch auf grünes Licht. Der WoZ liegt jedoch ein Konzept des Projektleiters, Oberst im Generalstab Friedrich Nyffenegger, vor. Daraus ist zu entnehmen, dass vom 14. August bis zum 3. September in der ganzen Schweiz, «ab Landesgrenze flächendeckend, alle Kantone und Halbkantone umfassend», zahlreiche Aktivitäten an die Mobilmachung 1939 erinnern sollen. Der breiten Bevölkerung werden die Türen zu verschiedenen Wanderausstellungen an den 52 Mobilmachungsorten offen stehen: Mit dreizehn verschiedenen, den jeweiligen Regionen angepassten Varianten einer Mobilmachungsausstellung will man der helvetischen Vielfalt Rechnung tragen. Eine Sonderausstellung mit Beginn am 2. September soll zudem den Startschuss zur Eröffnung eines Armeemuseums auf dem Berner Kasernenareal bilden gegen den Widerstand der Quartierbevölkerung (siehe WoZ Nr. 37/88). Nicht zuletzt mit diesen Ausstellungen erhofft sich die Projektleitung die nötige «Medienwirksamkeit».

Doch der Katalog von Oberst Nyffenegger nennt noch andere Aktivitäten, mit denen die Bevölkerung auf verschiedenen Ebenen animiert werden soll: Für NumismatikerInnen erstrahlt General Guisans Kopf in Edelmetall, Kartenfans erhalten eine «Historische Landkarte 1939», Soldaten bringen an Veteranentagen Gulasch und zeitgenössisches, mit Kartoffelmehl hergestelltes Brot unters Volk, dazu Kleber für die Kleinen, Geschenkartikel für die Braven und eine «Erinnerungsfeier zentral Rütli» für die Zuverlässigen. An einem «Fahnenmarsch mit Gedenkgottesdienst» kann der Klerus mit Fahnenträgern um die Publikumsgunst wetteifern, und in Interlaken soll das Hauptquartier von General Guisan wiederauferstehen. Etwas weniger spektakulär gestalten sich diejenigen Aktionen, mit denen umfassende Bilder der Vergangenheit und Zukunft entworfen und vermittelt werden: Das Homevideoprogramm erfährt eine Erweiterung durch Geschichtskassetten (1939-1945 und Ausblick) und Kriegskurzfilme (Finnisch-Russischer Krieg für SchülerInnen, zusammengeschnipselt aus einem alten Schunken des Armeefilmdienstes). Und speziell für die junge Generation realisieren zurzeit einige HistorikerInnen ein «Lehrmittel-Paket (Geschichte 1939-1945, Ausblick)», das in der für hiesige Verhältnisse gigantischen Auflage von 956 000 Exemplaren abgegeben werden wird.

Nyffenegger, der vor Jahresfrist die Lehrmittelmesse «didacta» mit einer Panzer-Simulatoren-Show überzog, will mit seinem «Diamant»-Projekt drei Zielgruppen besonders ansprechen: Zum einen soll den Aktivdienst-TeilnehmerInnen «landesweit Anerkennung und Dank zuteil werden», weshalb der Aktivdienst-Generation 1,27 Millionen Einladungskarten zugestellt werden. Zum andern wird um die Jungen und um die Frauen geworben: Ihnen soll «der Freiheitsgedanke der Armee gestern (Mobilmachung 1939) und morgen ( ... ) veranschaulicht werden». Das Projekt «Diamant» setzt sich deshalb zum Ziel, «der Bevölkerung historische, staatspolitische Informationen über die Situation unserer Heimat vor 50 Jahren vorzuzeigen», um «die Bedeutung der Friedens- und Freiheitssicherung durch bewaffnete Neutralität unseres Landes während der Jahre 1939-1945 und für die Zukunft» zu unterstreichen. Dieser 50. Jahrestag soll - im Sinne der Selbstdisziplin «durch sachliche, beispielhafte Information» medienwirksam begangen werden.

Der finanzielle Rahmen dieses EMD-Feldzugs in eigener Sache weitet sich - ohne Zustimmung von Bundesrat und Parlament - kontinuierlich aus. Budgetsorgen kennt der Bereich Öffentlichkeitsarbeit im EMD jedoch keine. Vielmehr bestand in jüngerer Zeit das Problem, vorhandene Geldmittel durch geeignete Projekte auszugeben. Nach neuesten Angaben liegen rund 8,5 Millionen Franken für diese Imagewerbung auf der hohen Kante. Für die professionelle Umsetzung werden die Dienste dreier Werbeagenturen - AG für Ausstellungsgestaltung Luzern (H. Kronenberg), Dr. Dieter Jäggi AG Bern und Dr. G. Furrer AG Zürich - in Anspruch genommen. Für die wissenschaftliche Beratung konnten die rechts-aussen-profilierten Professoren Walter Schaufelberger, Walther Hofer und Eddy Roulet gewonnen werden. In der oben genannten Summe nicht inbegriffen sind zahlreiche Gratisleistungen der Armee wie zum Beispiel WK-Absolvierungen von Historikern für das Projekt «Diamant». Zudem hat Nyffeneggers «Büro Diamant» mit Sitz an der Schönburgstrasse 41 in Bern Zugriff auf die gut ausgebaute Infrastruktur der Armee.

Die eher auf- als zufällige Koinzidenz der Mobilmachung 89 mit dem GSoA-Abstimmungskampf stösst bei den ArmeeabschafferInnen auf schlechtes Echo: «Schon bei der Abstimmungsbotschaft und bei diversen Referaten von EMD-Exponenten haben wir die Tendenz festgestellt, dass sich die Armeespitze lieber an der Vergangenheit orientiert», meint ein GSoA-Sprecher. Das EMD hingegen wehrt sich natürlich gegen den Vorwurf, das Projekt «Diamant» sei ein schlecht versteckter Abstimmungskampf. Demgegenüber steht ein Zitat von «Diamant»-Helfer Walter Schaufelberger, der im Pressetext zu dem von ihm herausgegebenen Buch «Sollen wir die Armee abschaffen?» schrieb: «Wir wollen der heutigen Generation die Bedrohung und den Nutzen unserer Verteidigungsanstrengungen während des Zweiten Weltkriegs wieder in das Bewusstsein bringen. Wir verhehlen keineswegs, dass wir damit gewissen Argumenten der Initianten und Befürworter der Armeeabschaffungsinitiative entgegentreten wollen, um dadurch die Öffentlichkeit über Tendenzen der Verfälschung einer historischen Situation aufzuklären.»

Genau diesen Zweck verfolgt nun das EMD mit seinem Lehrmittelpaket als Ideologieträger. Obschon die Verschränkung von Lehre und Armee in weiten Kreisen suspekt ist, hat sich das EMD bei der St. Galler Erziehungsdirektion eingenistet und den Adjunkten des Staatsarchivs St. Gallen mit der Erarbeitung des in Millionenauflage erscheinenden Lehrmittels mit dem Arbeitstitel «Die Schweiz im 2. Weltkrieg» beauftragt. Dadurch werden mehrere SchülerInnen-Jahrgänge mit einem EMD-finanzierten Lehrbuch versorgt, ohne dass die wahre Urheberschaft erkennbar wird. Dank seines soliden finanziellen Hintergrundes mausert sich das EMD zu einem gewichtigen Forschungsauftraggeber (auch) im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften.

Dem Themenkatalog der geplanten Wanderausstellung ist zu entnehmen, welche Absicht der Themenselektion Pate stand: Lediglich jene Themen, die das Ereignis der Mobilmachung ungetrübt aufleben lassen, fanden Eingang ins Ausstellungskonzept. So erfahren wir zuerst, «wie es zum 2. Weltkrieg kam» (Faschismus und Kommunismus), und begeben uns dann auf eine Gratwanderung zwischen «differentieller Neutralität» und «geistiger Landesverteidigung». Es werden aber auch brandaktuelle Themen an die Stellwände genagelt: «SP-Haltung in der Rüstungspolitik», «Pazifismus», «das Reduit aus der Sicht von heute». Thema Nr. 7 - «Kriegswirtschaft und Landesversorung» - lehrt uns, dass die SchweizerInnen Schlachten auf dem Acker schlagen («Plan Wahlen», «Anbauschlacht») und dass das heutige Sozialwerk und die Gesamtarbeitsverträge «Folgewirkung» der Kriegswirtschaft sind. Wir treffen aber auch auf die Schweizer Bevölkerung, die aus der «Frau zu Hause und in der Armee», dem «Schweizer Bürger und Soldat», der «Familie» und der «Arbeitswelt» besteht. Zum Schluss erleben wir die Schweiz als Kleinstaat mit Chancen - immer vorausgesetzt, wir überzeugen die Aussenwelt vom Nutzen unserer guten «Dienste».

In- und ausserhalb des «Diamant»-Projekts sind flankierende Massnahmen festzustellen, die ebenfalls mithelfen sollen, 1989 zum unvergesslichen Erinnerungsjahr zu machen: Symposien an der ETH Zürich und in Lausanne Anfang September, eine Sondersitzung der Bundesversammlung, der Aufruf des Anfang Woche wegrotierten EMD-Chefs Arnold Koller in der «Schweizer Woche», private Fotos aus dem Alltagsleben während der Kriegsjahre einzuschicken, und die von der «Schweizer Illustrierten» gesponserte Theatertournee «Gilberte de Courgenay».

Der flächendeckenden EMD-Offensive auf dem Gebiet der Geschichtsschreibung will die Arbeitsgruppe «Dunkle Flecken» des Geschichtsladens Zürich eigene Beiträge entgegensetzen. Zur Darstellung gelangen sollen vernachlässigte Themen wie die weitgehende Integration der Schweiz in die deutsche Kriegswirtschaft, das Ausmass der Pressezensur, die Unterminierung der Gewaltentrennung und des parlamentarischen Systems durch den Bundesrat oder die starken nazifreundlichen Tendenzen im Schweizer Offizierskorps.

Der durch die Aktualisierung der vergangenen Bedrohungslage hervorgerufene «Geist der Mobilmachung» wird aber nicht nur für den Kampf gegen die GSoA-Initiative verwendet, vielmehr dient er auch als Heilmittel gegen die «Entspannungsangst», die sich mittlerweile auch unter den Militärs in der Schweiz ausbreitet. Neue Sinngebungen müssen gesucht werden, denn der Status quo gerät ins Wanken. Angesichts der jüngsten Abrüstungsrunden geraten die hohen Militärbudgets und hoch technologischen Rüstungsprojekte unter Legitimationsdruck: Wofür sollen Waffen produziert und gekauft werden, die vielleicht bald nicht mehr gebraucht werden, was soll eine Armee ohne Krieg in Sichtweite?