Lila ist die Farbe der westlichen Frauenbewegung. Lila eingefärbt war auch das Titelfoto der legendären WOZ anlässlich des Frauenstreiks vom 14. Juni 1991. Eine ganze Nummer fast ausschliesslich zum Thema Frauen, ihre Wahrnehmung und ihre aktuelle rechtliche und politische Situation. Vornehmlich Redaktorinnen sind auf die Geschichte der Frauenrechtsbewegung ebenso eingegangen wie auf kulturelle Diskurse, die Befindlichkeit von Frauen in links-alternativen Räumen oder die Frage, was das grosse WOZ-I genau gebracht hat.
So reflektierte Sonja Hug im Artikel «Ist die Compañera die Köchin?» kritisch die patriarchale Struktur der Sprache: «Sicher, es ist den Frauen gelungen, so viel Druck auf Männer in ihrem Umkreis auszuüben, dass diese sich bemühen, einige wenige neue Sprachregeln einzuhalten. Trotzdem bleibt ein mulmiges Gefühl, der Verdacht, dass sich doch nicht allzu viel verändert hat in den Köpfen. (...) Männer reden und schreiben zwar, grammatikalisch gesehen, auch von Frauen, aber meinen sie auch Frauen? (...) Mit einer formalen Sprachkorrektur werden nur Frauen sichtbar, die in jenen Strukturen leben, arbeiten, kämpfen, die Männer als wichtig erachten, die sie überhaupt sehen können. Die Ehefrauen von Bergarbeitern sind nun mal nicht gemeint, wenn von BergarbeiterInnen gesprochen wird.»
Auf Seite eins klingt es ebenfalls vertraut. Im Artikel «Die WOZ für Sie!» fordert Franziska Moor mehr Engagement von beiden Geschlechtern, ohne die Realität ausser Acht zu lassen: «Dieser Mangel an politischem Drive bei der Geschlechterfrage ist nicht allein auf die persönliche Verstricktheit der Einzelnen mit dem Thema zurückzuführen, sondern wesentlich auch politisch-struktureller Art. (...) Die Geschlechterfrage, der Frauenstreik (...) ist keine einfache, zündende, neue Forderung, sondern das Einfordern dessen, was vor 20 Jahren (politisches Stimm- und Wahlrecht), vor 10 Jahren (Gleichberechtigung), vor 6 Jahren (neues Eherecht) auf dem Papier beschlossen worden ist und immer wieder (für die nächste oder übernächste AHV-Revision etwa) beschlossen wird: die Abschaffung der Frauendiskriminierung; sozusagen die Einhaltung eines riesigen Gesamtgesellschaftsvertrages.» Frau müsste nur die Zahlen aktualisieren, und niemand würde merken, dass der Text fünfzehn Jahre alt ist.
Im historischen Rückblick «Hundert Jahre Frauenprotest: Kleine Geschichte der Frauenstreikbewegung» von Elisabeth Joris wird bewusst, wie viele Frauen sich schon an wie vielen Wänden den Kopf blutig gestossen haben: «Wenn Frau will, steht alles still!» Mit dieser Parole des Generalstreiks von 1918 hatten die Frauen dann auch zum landesweiten Frauenstreik 1991 aufgerufen: «Dabei wurde der traditionelle Arbeitsbegriff auf alle Tätigkeitsbereiche von Frauen - ob bezahlt oder unbezahlt, ob zu Hause oder am ausserhäuslichen Arbeitsplatz - ausgeweitet.»
Und was hat sich verändert seit dem Streik? Weniger als möglich gewesen wäre. Erfolge bleiben Einzelfälle, die mühsam erkämpften Errungenschaften gelten vielen Frauen heute als Selbstverständlichkeit. Und noch immer gibt es Menschen, die glauben, dass in diesem Land die Gleichberechtigung herrscht, nur weil sie im Gesetz steht. So schrieb in der letzten WOZ Wirtschaftsredaktorin Elvira Wie gers über die nach wie vor beste hende Lohnungleichheit: «Wenn ein Mann 50 Franken verdient, erhält eine Frau für vergleichbare Arbeit nur 39 Franken»; die Gewerkschaftszeitung «Work» meinte dazu: «Entwickelt sich die Lohnangleichung im bisherigen Schneckentempo, müssen die Frauen noch siebzig Jahre darauf warten.» Der diesjährige 14.Juni stand denn auch unter dem Motto: «Ganzer Lohn für ganze Arbeit». Das Thema ist wichtig, immer noch und immer wieder.
Die vollständigen Texte von Franziska Moor, Sonja Hug und Elisabeth Joris aus WOZ Nr. 24/91:
Bis zu unserem Jubiläum im Herbst werden wir eine kleine Auswahl der Highlights vorstellen, die in den letzten 24 Jahren in der jeweiligen Kalenderwoche in der WOZ erschienen sind. Diesmal ist Kalenderwoche 24 Anlass zum Rückblick auf die WOZ-Sondernummer zum Frauenstreik 1991.
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Die patriarchale Struktur der Sprache wurde in der Frauenbewegung immer wieder diskutiert. Aufgrund dieser Diskussionen versuchen Frauen, die allgemeine Sprech- und Schreibweise zu verändern, damit sie endlich auch explizit gemeint sind. In mühsamer Kleinarbeit haben sie ihren Kollegen, Genossen, Mitstreitern, Freunden klar gemacht, dass sie sich nicht angesprochen fühlen, wenn ausschliesslich von Männern die Rede ist. Von «Aber ich meine immer beide Geschlechter» bis zu «Das ist sprachlich unschön und viel zu kompliziert» müssen sie sich alle möglichen Ausflüchte anhören.
40 Texte aus 40 Jahren – 1991: Zur sozialen Benachteiligung von Frauen und zum Feminismus schreibt die WOZ regelmässig. Obwohl Redaktion und Themen gelegentlich männerlastig sind. Wenn die Gleichberechtigung der Geschlechter und der Nicht-Geschlechter am ersten Frauenstreiktag 1991 in einer lila eingefärbten Sonderausgabe gefordert wird, so richtet sich das auch ein wenig an die männlichen Kollegen.
Auf der Redaktion einer dezidiert politischen Wochenzeitung ist das Triviale, das Private, das vermeintlich Harmlose das, was allenfalls dann noch aufs Tapet kommt, wenn sich alle bereits erschöpft mit der Zeitung der letzten Woche Luft zuwedeln. Ist auch verständlich: Befasst man sich mit dem Weltgeschehen, das ohne Pause mit absoluter Dringlichkeit nach Aufdecken! Analysieren! Kommentieren! schreit, ist das Private im Vergleich dazu bestenfalls ein «nice to have», etwas, das sich locker auf die nächste Ausgabe schieben lässt, oder die übernächste?
Seit einem Jahrhundert streiken Frauen gegen schlechte Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne und für eine Reduzierung der Arbeitszeit. Ein Gang durch die noch immer ungenügend erforschte Geschichte der Frauenstreiks fördert eine Vielfalt von Protest- und Selbstorganisationsformen von Frauen als Lohnarbeiterinnen, Konsumentinnen und Staatsbürgerinnen zutage.