Nicht jeder Text, den die WOZ in den vergangenen 25 Jahren veröffentlicht hat, gelang. Aber selten war einer so deplatziert wie jener unter dem Titel «Der Fremdenfeind innen links» im Januar 1993. Worum ging es? Anfang der neunziger Jahre konzentrierte sich in Zürich der Handel mit harten Drogen auf die Langstrasse. Zahlreiche Dealer suchten nach Kundschaft, es herrschte Hektik und auch eine gewisse Aggressivität.
Vor diesem Hintergrund drang Linus Reichlin in sich und entdeckte dort den inneren rassistischen Schweinehund. Er führt ihn mit einer Mischung aus Scham und versteckter Freude über seinen Tabubruch vor. Im Kreis 5 werde unter Linken offen, aber nicht öffentlich über AusländerInnen geredet - mit zunehmender Härte, heisst es im Lead: «Einer (...) beschreibt, wie die Feindlichkeit bei ihm (‹innen links›) entstanden ist.»
Reichlin beginnt seine Reise ins Herz der Finsternis mit einer Selbstbeobachtung. Innerlich habe er einen Passagier im Tram, den er wegen seiner Zeitung als Albaner identifizieren konnte, als Scheissausländer bezeichnet. Diese Regung leitet er dann her von seinen Erfahrungen an der Langstrasse, wo er ein Büro betreibt: Draussen stünden die Drogendealer mit dem «Gesicht des internationalen Galgenvogels» herum, ganze Gruppen «... in ziemlich penetranter, so genannt männlicher Schwänzigkeit dastehender und sich breit machender, sich gegenseitig hochturnender Mannmänner aus Libanon, zum Teufel.» Reichlin will kein Heroin von ihnen, sondern vom Bäcker einen Nussgipfel: «Gut Teig mit Süss drin.»
So geht das weiter, bis es dem Autor gelingt, den Zusammenhang zwischen dem «Scheissausländer» im Tram und den Drogendealern an der Langstrasse herzustellen: «Im Drogenviertel gibt es zu viele Drogenhändler, und man hat, generell, etwas gegen Drogenhändler, und weil sie im Viertel schier samt und sonders Libanesen und Kosovo-Albaner sind, hat man am Ende, generell, etwas gegen libanesische und kosovo-albanische Drogenhändler, und man muss schon sehr gefeit sein gegen den inneren Xenophob, um die in ihrer Eigenschaft als Drogenhändler unangenehmen Libanesen und Kosovo-Albaner nicht eines Tages für DEN Libanesen, DEN Kosovo-Albaner schlechthin zu halten.» Reichlin ist diese Trennung offensichtlich nicht gelungen.
Dass man anders über Rassismus schreiben kann, bewies ein Jahr zuvor WOZ-Redaktor Christoph Keller. Er montiert in seinem Text «Übungen im Zuhören und Weghören» Zitate, die er während eines halben Jahres aufgefangen hatte und die das Thema in unterschiedlichster Art umkreisen. Sein Ohr diene ihm dabei als Richtmikrofon für Gespräche, als Lauschtrichter für Wortfetzen, schrieb Keller. Banale Redewendungen wie «getürkt» oder «spanisches Dorf» stellt Keller ebenso in Zusammenhang mit dem rassistischen Diskurs wie eigene Erfahrungen. Etwa wenn er im Zug sitzt und hört, wie drei Abteile weiter Jugendliche Judenwitze erzählen. Keller beschreibt, wie er bei anderen Passagieren eine stumme Übereinstimmung der Missbilligung feststelle, aber sich trotzdem niemand stark genug fühle, um aufzustehen und einzuschreiten.
Keller notiert Irritierendes - etwa die Feststellung eines ausländischen Freundes: «Ich meide seit einiger Zeit die anderen Ausländer im Betrieb und arbeite nur noch mit den Schweizern zusammen ... Da weisst du wenigstens, woran du bist.» So ist es also auch möglich: beobachten, Fragen stellen, Widersprüche zeigen. Im Unterschied zu Reichlin verzichtete Keller darauf, einfach aus dem Bauch zu schreiben. Bei einem so schwierigen Thema wie Rassismus kommt das nämlich nie gut.
Bis zu unserem Jubiläum im Herbst werden wir an dieser Stelle eine kleine Auswahl der Highlights vorstellen, die in den letzten 24 Jahren in der jeweiligen Kalenderwoche in der WOZ erschienen sind. Diesmal: Kalenderwoche 4.
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Thema zu schärfen, oder hat er Sie vortrefflich provoziert? Und was ist
Ihnen das wert? Unabhängiger Journalismus ist auf einen Beitrag vieler
angewiesen.
«Bitte rufen Sie die Polizei nicht an, wenn Sie das Gefühl haben, ein Fixer oder ein Dealer werde zu hart angefasst», bat die Zürcher Stadtpolizei im Januar 1995 die Zürcher Bevölkerung. Und Roger de Weck, damals Chefredaktor des «Tages-Anzeigers», erteilte den PolizistInnen die Generalabsolution mit der Bemerkung, «es werde wohl nicht jedem Polizisten gelingen, die Verhältnismässigkeit zu wahren». Angesichts der offenen Drogenszene am Letten und deren anstehender Räumung waren nicht aufmerksame BürgerInnen gefragt, die dem Staat und seinen Organen auf die Finger schauten.
Die Schweizerische Depeschenagentur tippte praktisch nur den Pressetext der Bündner Polizei ab. Der «Tages-Anzeiger» titelte «Massenkontrollen verhinderten Nachdemos». Der «SonntagsBlick» schrie: «An der Kundgebung in Chur hielten sich die Chaoten zurück. In Landquart zeigten sie ihr wahres Gesicht». Die «Neue Zürcher Zeitung» erkannte: «Mit kluger Taktik Eskalation verhindert». Und der «Blick» sah: «Wef-Chaoten schlugen wieder in Landquart zu». Auch die «Südostschweiz» quengelte: «In Landquart haben es rund 500 Wef-Demonstranten auf die Spitze getrieben.
«Entscheidend ist, dass wir, wenn wir wirklich Frieden wollen, alle Probleme im Nahen Osten lösen müssen.» Das sagte Jassir Arafat in einem WOZ-Interview, das wir am 18. Januar 1991 auf der Titelseite publizierten. Kurz zuvor, in der Nacht zum 16. Januar, hatten die USA mit dem Segen der Uno den Luftkrieg gegen den Irak begonnen. Dieser Krieg und seine Vorgeschichte, sein Verlauf, seine Folgen hat nicht nur die WOZ-Auslandredaktion über Monate hinweg in Atem gehalten.
Ich erkläre hiermit meinen Austritt aus dem Förderverein ProWOZ, dem ich seit seiner Gründung im Jahre 1984 angehöre. Der Grund sind die wiederholten Kommentare zum Krieg in Bosnien, die unter dem ideologischen Deckmantel eines Neutralismus eine mehr oder weniger ausgeprägte Sympathie für die serbische Seite bekundeten. Mit dem Artikel von Harry Richter in der WOZ vom 2. Juni, «Wer findet den Weg nach Pale?», ist für mich nun das Mass voll.
«Von Walter Stürm, z.Zt. Untersuchungsgefängnis Sion», lautet die Autorenzeile des Textes «Ich kam mir vor wie ein Goldtransport» aus der WOZ Nr. 6 vom 9. Februar 1990. Walter Stürm, berühmt geworden als «Ausbrecherkönig», beschreibt die «Strapazen einer Auslieferung». Am 30. Juni 1989 war Stürm in seinem Appartement im Küstenort Valle Gran Rey auf der Kanarischen Insel La Gomera verhaftet worden. Damit war seine siebte Flucht zu Ende. Nach seiner Auslieferung Ende Januar 1990 beschrieb Stürm der WOZ in einem Brief die Auslieferung.