Jedes Jahr die gleiche Frage: Wie den 1. August begehen beziehungsweise verbringen? Mit einer feinen Wurst wenigstens, inmitten des Lichtgewitters und Raketengeheuls, daheim oder etwa gar nicht?
So eindringlich, wie sich die Frage vor fünfzehn Jahren stellte, so eindeutig fiel sie damals aus. 1991 feierte die offizielle Schweiz mit viel Aufwand ihren 700. Geburtstag - eine groteske Veranstaltung angesichts der Tatsache, dass der «Bundesbrief» von 1291 nicht mehr (aber auch nicht weniger) ist als ein Abkommen zwischen den politischen Eliten der Waldstätten Uri, Schwyz und Unterwalden, das am Ende des 19. Jahrhunderts zur Gründungsurkunde der Eidgenossenschaft emporstilisiert wurde.
1991 lautete die Antwort also: auf keinen Fall feiern. Die WOZ verlieh ihr sogar im Nachhinein Nachdruck: prominent auf der Titelseite der Ausgabe vom 2. August 1991 mit einem Leitartikel, der die ironische Überschrift «Mitbürgerinnen und Mitbürger!» trug. «Die Schweiz ist im Umbruch», hebt die Festrede an. «Zu Recht zweifeln immer mehr Bürgerinnen und Bürger, ob wir mit den vielen lieb gewordenen Erfolgsrezepten der Vergangenheit die Zukunft meistern können. Das Vertrauen in die staatlichen Institutionen zerfällt, weil man auch dem Staat nicht mehr zutraut, mit den drängenden Fragen unserer Zeit fertig zu werden. (...) Wir sehen für die Schweiz und in der Schweiz eine Zukunft, nicht obwohl, sondern weil sie in einer Krise steckt. Die Schweiz, ob sie will oder nicht, muss sich anpassen. Ohne dass wir uns im Fluidum der europäischen Geschichte mitbewegten, wären weder die Zivilisierung des Landes durch Rom, später durch die Klöster des abendländischen Mönchtums denkbar noch Reformation und Gegenreformation, weder die moderne Demokratie der Schweiz noch unser Liberalismus, weder die enge Verbindung unserer Landesteile mit dem französischen, deutschen, italienischen Geistesleben noch schliesslich die Prosperität des Landes (...). Wir sind stolz auf unsere Mehrsprachigkeit und auf unsere Fähigkeit, damit fruchtbar umzugehen; die Schweiz als Modell und Vorbild Europas - doch ist unsere Viersprachigkeit Realität? Welcher Deutschschweizer lernt noch Italienisch oder gar Rätoromanisch, und welcher Romane bemüht sich ums Deutsche? Höchste Zeit, dass alle Studierenden mindestens zwei, besser noch vier Semester in der Welschschweiz absolvieren (die Welschen umgekehrt bei uns).»
Von wem stammt die «aufgeschlossene», vor Phrasen strotzende und ziellos dahinplätschernde Ansprache, die hier nur zur Hälfte wiedergegeben ist? Die WOZ erlaubte sich den Spass, eine Textcollage als Leitartikel auf der Titelseite zu platzieren. Und pikanterweise setzt sich die «kollektive Rede» nicht nur aus Sätzen von bürgerlichen Bundesräten (Arnold Koller), Korpskommandanten (Jörg Zumstein), Unternehmern, PolitikerInnen und NZZ-Inlandredaktoren zusammen. Sie enthält auch Sätze von Intellektuellen und Schriftstellern (Niklaus Meienberg, Paul Nizon), Philosophen (Hans Saner), linksgrünen PolitikerInnen (Jo Lang, Verena Diener: «Trotz allen Widersprüchen, die sie in sich birgt: Ich habe sie gern, weil sie so unvollkommen ist - wie Sie und ich») - und sogar des verantwortlichen WOZ-Redaktors selbst, der die Schlusspointe platzierte: «Die Schweiz, dieses Mensch!» (Andreas Simmen).
Ob zum Nationalfeiertag seither jemals wieder so viel Nonsens auf der Titelseite einer Zeitung zu lesen war?
Die vollständige Textcollage zum 1. August 1991 an die «Mitbürgerinnen und Mitbürger!» (WOZ Nr. 31/91) finden Sie hier:
Bis zu unserem Jubiläum im Herbst werden wir eine kleine Auswahl der Highlights vorstellen, die in den letzten 24 Jahren in der jeweiligen Kalenderwoche in der WOZ erschienen sind. Diesmal ist Kalenderwoche 31 Anlass zum Rückblick auf die WOZ-Berichterstattung zum 1. August im Jubiläumsjahr 1991, als die Schweiz angeblich ihren 700. Geburtstag feiern konnte.
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Lieber gar nichts schreiben als die Gerüchte in den anderen Medien wiederholen - so dachte wohl die WOZ-Redaktion. Zwanzig Jahre später wirkt es dennoch seltsam: In der WOZ vom 30. April 1986 steht nämlich nichts über Tschernobyl. Kein einziges Wort.
«Banken-Sound-Age» und «Bankverein kauft Pop und Jazz» war auf der ersten Seite der WOZ vom 6. März 1987 zu lesen. WOZ-Redaktor Patrik Landolt führte ein Interview mit Markus Bodmer, der beim Schweizerischen Bankverein für PR-Aktionen und Sponsoring verantwortlich war. Der Inhalt des Interviews gefiel weder den Wochen später zu Wort kommenden MusikerInnen, noch Bodmers Vorgesetzten beim Bankverein, die sich in einer Stellungnahme von Bodmer distanzierten.
Es war ein 1. Mai wie jedes Jahr in Zürich: Zuerst der grosse Umzug, dann für die meisten das gemütliche Fest im Kasernenhof und für die anderen die nicht so gemütliche Nachdemo. Doch 1996 wurde es für alle ungemütlich: «Die Zürcher Polizei hat mit einem an Brutalität bis anhin kaum gesehenen Einsatz die Nachdemo aufzulösen versucht und dabei Dutzende von Tränengaspetarden in den abgeriegelten Festhof geknallt», schrieb Patrik Landolt zwei Tage später auf der Titelseite der WOZ. «Mehrere Zeugen beobachteten, wie Polizisten gezielt über die Zeughäuserbauten in den Festhof schossen.
«Dies ist die vollständigste WoZ, die je gedruckt worden ist», verkündete die WOZ auf der Titelseite vom 16. März 2000. Nebst der nationalen Zeitung und der «Monde diplomatique» enthielt die Ausgabe als Premiere den Regionalbund «WoZ Luzern», der zur Feier der Erstausgabe in der ganzen Schweiz beilag. Der Start verlief viel versprechend. Innert weniger Stunden war die WoZ an jenem Donnerstag in und um Luzern ausverkauft.
Als am 5. Juni 1981 zum ersten Mal eine medizinische Studie veröffentlicht wurde, in der von einer neuen Immunschwäche die Rede war, die vor allem homosexuelle Männer betraf, hielt sich lange das Image einer reinen Schwulenkrankheit.